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Das lebendige Theorem (German Edition)

Das lebendige Theorem (German Edition)

Titel: Das lebendige Theorem (German Edition)
Autoren: Cédric Villani
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es, um sie zu bestätigen oder um sie anzugreifen. Seine Theorie der Komplexität lässt die Entwicklung der künstlichen Intelligenz erahnen.
1954 macht er auf dem Internationalen Mathematikerkongress eine verblüffende Aussage. Während Poincaré seine Fachkollegen schon 70 Jahre zuvor davon überzeugt hatte, dass das Sonnensystem inhärent instabil sei – dass eine noch so kleine Unsicherheit bezüglich der Position der Planeten jede Vorhersage der Position dieser Planeten in ferner Zukunft unmöglich macht –, argumentiert Kolmogorow, dass das Sonnensystem wahrscheinlich stabil ist, indem er Wahrscheinlichkeiten und deterministische Gleichungen mit verblüffender Kühnheit miteinander vermählt. Wie Poincaré gesehen hat, ist die Stabilität zwar möglich, aber Kolmogorow zufolge tritt sie nur selten auf.
Kolmogorows Theorem zeigt, dass wenn man von einem exakt lösbaren mechanischen System ausgeht (dem Sonnensystem, wie Kepler es sich vorstellte, mit Planeten, die sich artig und für immer auf unveränderlichen elliptischen Umlaufbahnen um die Sonne drehen), und man es ein ganz klein wenig stört (indem man die Gravitationsanziehung zwischen den Planeten berücksichtigt, die Kepler vernachlässigte), das so erhaltene System für die große Mehrheit von Anfangsbedingungen stabil bleibt.

Andrei Kolmogorow
Der elliptische Stil Kolmogorows und die Komplexität seines Arguments lassen seine Zeitgenossen zweifeln. Mit unterschiedlichen Ansätzen gelingt es dem Russen Wladimir Arnold und dem Deutschen Jürgen Moser, vollständige Beweise zu rekonstruieren, wobei Ersterer die ursprüngliche Aussage Kolmogorows und Letzterer eine allgemeinere Variante bewies. So entstand die KAM-Theorie, die zu einigen der einflussreichsten und überraschendsten Seiten der klassischen Mechanik geführt hat.
Die einzigartige Schönheit dieser Theorie hat die Zustimmung der Wissenschaftler gewonnen, und drei Jahrzehnte lang wird man an ein stabiles Sonnensystem glauben, auch wenn die technischen Bedingungen, die Kolmogorows Theorie erfordert, in der Wirklichkeit nicht genau erfüllt sind. Man wird auf die Arbeiten von Jacques Laskar Ende der 1980er Jahre warten müssen, damit sich diese Meinung abermals dreht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Kapitel 4
    Chaillol, 15. April 2008
    Die Zuschauer halten den Atem an, der Lehrer gibt den Einsatz, und alle Kinder lassen ihren Bogen auf den Saiten tanzen. Die Suzuki-Methode verpflichtet, die Eltern wohnen der gemeinsamen Unterrichtsstunde bei. Was kann man in diesem großen Chalet, das von dem Musikkurs völlig in Beschlag genommen wird, auch schon anderes tun?
    Die Eltern verziehen keine Miene, wenn die Noten sich als zu schräg erweisen. Diejenigen, die gestern einwilligten, sich lächerlich zu machen, indem sie zum größten Vergnügen ihrer Kinder die Instrumente der Letzteren spielten, wissen, wie schwierig es ist, einen reinen Ton aus diesen teuflischen Instrumenten herauszubringen! Und außerdem herrscht heute eine wirklich schöne Arbeitsatmosphäre mit guter Stimmung, die Kinder freuen sich.
    Suzuki-Methode hin oder her, was vor allem zählt, ist das pädagogische Talent des Lehrers, und der, der meinem Sohn das Cellospielen beibringt, ist ganz einfach einzigartig.
    In einer der ersten Reihen sitzend, verschlinge ich Galactic Dynamics , den Bestseller von Binney & Tremaine, mit der Begeisterung eines kleinen Kindes, das eine neue Welt entdeckt. Ich hätte nicht geglaubt, dass die Wlassow-Gleichung in der Astrophysik so wichtig ist. Die Boltzmann-Gleichung ist zwar immer noch die schönste Gleichung der Welt, aber Wlassow ist auch nicht schlecht!
    Es wächst nicht nur das Ansehen der Wlassow-Gleichung in meinem Kopf, sondern die Attraktivität der Sterne nimmt ebenfalls zu. Die Spiralgalaxien, die Kugelhaufen, all das fand ich zwar immer recht nett, ja ja, nicht schlecht … Aber jetzt, wo ich einen mathematischen Schlüssel habe, um da einzudringen, ist es ganz einfach hinreißend.
    Seit unserer gemeinsamen Arbeitssitzung mit Clément habe ich die Rechnungen noch einmal gemacht, Ideen beginnen, sich in meinem Kopf zu bilden. Ich murmle vor mich hin.
    – Ich versteh’ das nicht. Man sagt, dass die Landau-Dämpfung etwas ganz anderes ist als die Phasenmischung … Aber ich meine, dass im Grunde eine Ähnlichkeit besteht. Hrmrmrm.
    Ein kurzer Blick auf die lieben Blondschöpfe. Alles in Ordnung.
    – Hmmm, dieser Kalkül ist nicht schlecht. Und was ist mit dieser Fußnote …
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