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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben
Autoren: Stephen King
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eigenen Schilderungen hinzu, wo es mir angebracht erschien. »Sie wurden in einem großen verflixten Farmhauszimmer 2 untergebracht«, schrieb ich zum Beispiel; ich brauchte noch ein oder zwei Jahre, bis ich lernte, dass drat (verflixt) und draft (Zugluft) unterschiedliche Wörter waren. Ich weiß noch, dass ich damals immer details (Einzelheiten) und dentals (Prothese) verwechselte und dachte, eine bitch (Miststück /Hündin) sei eine besonders große Frau. Ein son of a bitch (Hurensohn) musste daher prädestiniert für Basketball sein. Mit sechs Jahren befinden sich die meisten Bingokugeln noch immer in der Lostrommel.
    Irgendwann zeigte ich eins dieser abgeschriebenen Zwitterwesen meiner Mutter, die ganz entzückt war. Ich erinnere mich noch an ihr leicht verwundertes Lächeln, so als könnte sie gar nicht glauben, dass eins ihrer Kinder so begabt sei – genau genommen ein richtiges Wunderkind, du lieber Himmel. Diesen Ausdruck hatte ich noch nie auf ihrem Gesicht gesehen, wenigstens nicht als Reaktion auf meine Taten, und ich fand ihn herrlich.
    Sie fragte mich, ob ich mir die Geschichte selbst ausgedacht hätte. Da musste ich zugeben, dass ich den Großteil aus einem Comic abgeschrieben hatte. Sie wirkte enttäuscht, und das dämpfte meine Freude ganz entscheidend. Schließlich gab sie mir den Block zurück. »Denk dir selbst eine Geschichte aus, Stevie«, sagte sie. »Diese Comics mit Combat Casey sind doch Schrott, da werden den Leuten immer nur die Zähne ausgeschlagen. Ich wette, du kannst das viel besser. Schreib eine eigene Geschichte.«

8
     
    Ich weiß noch, dass ich bei dieser Aufforderung von dem Gefühl unendlicher Möglichkeiten überwältigt wurde, so als wäre ich in ein riesiges Gebäude mit Unmengen geschlossener Türen geführt worden und habe die Erlaubnis erhalten, jede davon zu öffnen, wenn ich wollte. Es waren mehr Türen, als ein Mensch im Laufe seines Lebens öffnen konnte, glaubte ich (und glaube es immer noch.)
    Letztlich schrieb ich eine Geschichte über vier Zaubertiere, die in einem alten Auto herumfahren und kleinen Kindern helfen. Der Anführer war ein großer weißer Hase namens Mr. Rabbit Trick. Er durfte das Auto fahren. Die Geschichte war vier Seiten lang und mühsam mit Bleistift geschrieben. Soweit ich mich erinnern kann, kam darin niemand vor, der vom Dach des Graymore Hotels sprang. Als ich fertig war, gab ich sie meiner Mutter, die sich damit ins Wohnzimmer setzte, ihr Taschenbuch auf den Boden neben sich legte, und meine Geschichte in einem Schwung las. Ich merkte, dass sie ihr gefiel, denn sie lachte an allen richtigen Stellen, aber ich wusste nicht, ob sie mir damit nur eine Freude machen wollte, weil sie mich mochte, oder ob die Geschichte wirklich gut war.
    »Und die hast du nicht abgeschrieben?«, fragte sie, als sie fertig war. Nein, antwortete ich, hätte ich nicht. Sie sagte, die Geschichte wäre so gut, dass sie in einem Buch stehen könnte. Keine andere Bemerkung, die jemand zu mir machte, hat mir seitdem ein größeres Glücksgefühl beschert als dieses Lob. Ich verfasste noch vier Geschichten über Mr. Rabbit Trick und seine Freunde. Für jede gab sie mir einen Vierteldollar und schickte sie an ihre vier Schwestern, die wohl ein bisschen mitleidig auf sie herabsahen. Sie waren alle immer noch verheiratet. Ihre Männer waren dageblieben. Es stimmte zwar, dass Onkel Fred nicht viel Sinn für Humor hatte und stur das Verdeck seines Autos geschlossen hielt; außerdem stimmte es, dass Onkel Oren ganz schön trank und dunkle Theorien darüber aufstellte, wie die Juden die Welt regierten, aber immerhin waren die Männer da . Ruth dagegen war mit dem Baby von Don sitzen gelassen worden. Jetzt wollte sie ihrer Familie wenigstens beweisen, dass das Baby begabt war.
    Vier Geschichten. Für jede einen Vierteldollar. Das war der erste Dollar, den ich in diesem Geschäft machte.

9
     
    Wir zogen nach Stratford, Connecticut. Ich kam in die zweite Klasse und verknallte mich Hals über Kopf in das hübsche, etwas ältere Mädchen von nebenan. Sie würdigte mich tagsüber keines Blickes, aber nachts, wenn ich im Bett lag und einschlief, flüchteten wir gemeinsam immer wieder vor der grausamen Welt. Meine neue Lehrerin war Mrs. Taylor, eine freundliche Frau mit hervorquellenden Augen und grauem Haar wie Elsa Lanchester in FRANKENSTEINS BRAUT (Originaltitel: BRIDE OF FRANKENSTEIN). »Wenn ich mich mit Mrs. Taylor unterhalte, will ich immer die Hände unter ihre Glupschaugen
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