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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben
Autoren: Stephen King
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rief sie dann lustvoll. Es war, als stünde ich unter Sumpfgasbeschuss. Ich erinnere mich an die Dunkelheit, an das Gefühl zu ersticken … und an das Lachen. Denn was passierte, war zwar irgendwie furchtbar, aber auch gleichzeitig irgendwie lustig. In mancherlei Hinsicht bereitete mich Eula-Beulah auf die Literaturkritik vor. Wenn einem erst mal ein zwei Zentner schwerer Babysitter aufs Gesicht gefurzt und dabei lustvoll »Peng!« gerufen hat, kann einen die Wochenzeitung Village Voice nicht mehr arg schrecken.
    Ich weiß nicht, was mit den anderen Babysittern passierte, aber Eula-Beulah wurde gefeuert. Und zwar wegen der Eier. Eines Morgens briet sie mir ein Ei zum Frühstück. Ich aß es und wollte noch eins. Eula-Beulah briet mir ein zweites Ei und fragte mich dann, ob ich noch ein drittes wolle. Sie hatte diesen Blick drauf, der besagte: »Du wagst es nicht, noch eins zu essen, Stevie.« Daher wollte ich noch eins haben. Und noch eins. Und so weiter. Nach dem siebten, glaube ich, hörte ich auf. Jedenfalls ist mir diese Zahl im Gedächtnis geblieben, und das recht deutlich. Vielleicht hatten wir auch keine Eier mehr. Vielleicht wollte ich auch keins mehr. Oder Eula-Beulah bekam es mit der Angst. Ich weiß es nicht mehr, aber wahrscheinlich war es ganz gut, dass das Spiel bei sieben aufhörte. Für einen Vierjährigen sind sieben Eier eine ganze Menge.
    Eine Weile fühlte ich mich noch gut, und dann kotzte ich alles auf den Boden. Eula-Beulah lachte, gab mir eine Kopfnuss, steckte mich in den Wandschrank und schloss die Tür ab. Peng. Hätte sie mich im Badezimmer eingeschlossen, hätte sie ihren Job möglicherweise behalten. Das tat sie aber nicht. Mir machte es eigentlich gar nichts aus, im Wandschrank zu hocken. Es war zwar dunkel, doch es roch nach dem Coty-Parfüm meiner Mutter, und unter der Tür leuchtete tröstlich ein Lichtstreifen.
    Ich krabbelte in die hinterste Ecke, Moms Mäntel und Kleider strichen mir über den Rücken. Dann fing ich an zu rülpsen – lange, laute Rülpser, die wie Feuer brannten. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir richtig schlecht war, doch muss es so gewesen sein, denn als ich den Mund öffnete, um den nächsten beißenden Rülpser zu tun, übergab ich mich ein zweites Mal. Auf die Schuhe meiner Mutter. Das war Eula-Beulahs Ende. Als meine Mutter an diesem Tag von der Arbeit nach Hause kam, schlief der Babysitter tief und fest auf der Couch, und Klein-Stevie war im Wandschrank eingeschlossen. Er schlief tief und fest, und in seinem Haar klebten halb verdaute Spiegeleier.

3
     
    Unser Aufenthalt in West de Pere war weder lang noch erfolgreich. Wir wurden gewaltsam aus unserer Wohnung im dritten Stock vertrieben, nachdem ein Nachbar meinen sechsjährigen Bruder auf dem Dach hatte herumkraxeln sehen und die Polizei gerufen hatte. Ich weiß nicht, wo meine Mutter war, als das passierte. Auch nicht, wo der Babysitter der Woche war. Ich weiß nur, dass ich im Badezimmer barfuß auf dem Heizofen stand und gespannt beobachtete, ob mein Bruder vom Dach fiel oder es zurück ins Badezimmer schaffte. Er schaffte es. Heute, zur Jahrtausendwende, ist er fünfundfünfzig und lebt in New Hampshire.

4
     
    Als ich fünf oder sechs war, fragte ich meine Mutter, ob sie schon mal jemanden sterben gesehen habe. Ja, antwortete sie, sie hätte einen Menschen sterben sehen und einen sterben hören. Ich fragte, wie man einen Menschen sterben hören könne, und sie erzählte mir, dass in den Zwanzigern ein Mädchen vor Prout’s Neck ertrunken sei. Sie war an der Kabbelung vorbei nach draußen geschwommen, schaffte es nicht wieder zurück und schrie um Hilfe. Mehrere Männer versuchten, zu ihr herauszuschwimmen, doch die Strömung hatte an jenem Tag einen bösen Sog entwickelt, sodass sie zum Umkehren gezwungen wurden. Schließlich konnten die Touristen und die Einheimischen, darunter auch der Teenager, der später meine Mutter werden sollte, nichts anderes tun, als herumzustehen und auf ein Rettungsboot zu warten, das niemals kam. Sie hörten das Mädchen schreien, bis es keine Kraft mehr hatte und unterging. Die Leiche wurde oben in New Hampshire an Land gespült, erzählte meine Mutter. Ich fragte sie, wie alt das Mädchen gewesen sei. Mom meinte, sie war vierzehn. Dann las sie mir aus einem Comic vor und brachte mich ins Bett. An irgendeinem anderen Tag erzählte sie mir von dem Todesfall, den sie gesehen hatte: ein Matrose, der vom Dach des Graymore Hotels in Portland, Maine, gesprungen und
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