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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben
Autoren: Stephen King
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ziemlich gut daran erinnern. Sie meint, ich sei zweieinhalb oder vielleicht drei Jahre alt gewesen.
    In einer Ecke der Garage hatte ich einen Hohlziegel aus Zement gefunden und es geschafft, ihn hochzuhieven. Langsam schleppte ich ihn über den glatten zementierten Garagenboden und stellte mir vor, dass ich ihn, gekleidet in einen Einteiler aus Pelz (wahrscheinlich Leopardenfell), durch eine Manege trug. Das Publikum hielt den Atem an. Ein greller blauweißer Scheinwerfer verfolgte meinen beachtlichen Weg. In den verblüfften Gesichtern stand geschrieben: Noch nie hatte jemand so ein unvorstellbar starkes Kind gesehen. »Und er ist erst zwei Jahre!«, stammelte jemand ungläubig.
    Was ich nicht wusste: In der unteren Hälfte des Hohlziegels hatten sich Wespen ein kleines Nest gebaut. Eine von ihnen war vielleicht sauer über den unverlangten Umzug, sie flog heraus und stach mich ins Ohr. Der Schmerz war schrill wie eine bösartige Eingebung. Es war der schlimmste Schmerz, den ich in meinem kurzen Leben erlitten hatte, doch er hielt den Rekord nur wenige Sekunden. Ich vergaß die Wespe auf der Stelle, als ich den Hohlziegel auf meinen nackten Fuß fallen ließ und mir alle fünf Zehen quetschte. Ich weiß nicht mehr, ob ich zum Arzt gebracht wurde. Tante Ethelyn weiß es auch nicht mehr (Onkel Oren, dem der bösartige Hohlziegel mit Sicherheit gehörte, ist seit fast zwanzig Jahren tot), aber sie erinnert sich noch an den Stich, die gequetschten Zehen und an meine Reaktion. »Du hast geschrien wie am Spieß, Stephen!«, sagte sie. »An dem Tag warst du auf jeden Fall gut bei Stimme.«

2
     
    Ungefähr ein Jahr später zogen meine Mutter, mein Bruder und ich nach West De Pere, Wisconsin. Warum, weiß ich nicht. Eine andere Schwester meiner Mutter, Cal (eine ehemalige Schönheitskönigin des Women’s Army Corps aus dem Zweiten Weltkrieg), wohnte mit ihrem geselligen, biertrinkenden Mann in Wisconsin; vielleicht wollte Mom in ihrer Nähe sein. Aber selbst wenn, kann ich mich nicht erinnern, die Weimers oft gesehen zu haben. Oder überhaupt einen von ihnen. Meine Mutter arbeitete, aber was genau sie machte, weiß ich nicht mehr. Fast hätte ich gesagt, sie arbeitete in einer Bäckerei, aber das war, glaube ich, erst später, als wir nach Connecticut zogen, in die Nähe ihrer Schwester Lois und deren Mann (bloß bekam Fred kein Bier, und mit der Geselligkeit war es auch nicht weit her; er war ein Typ mit Bürstenschnitt, der stolz darauf war, sein Cabrio mit geschlossenem Verdeck zu fahren, Gott weiß, warum).
    In der Zeit in Wisconsin hatten wir einen Babysitter nach dem anderen. Ich weiß nicht, ob sie aufhörten, weil David und ich solche Nervensägen waren, weil sie besser bezahlte Jobs fanden oder weil meine Mutter zu hohe Anforderungen an sie stellte, die sie nicht erfüllen wollten. Ich weiß nur, dass wir Babysitter in rauen Mengen verschlissen. Die Einzige, an die ich mich deutlich erinnern kann, ist Eula, vielleicht hieß sie auch Beulah. Sie war ein Teenager, fett wie ein Walross, und lachte viel. Eula-Beulah hatte einen herrlichen Humor, das konnte ich schon mit vier Jahren erkennen, aber er war auch gefährlich : Hinter ihren ausgelassenen Heiterkeitsausbrüchen, bei denen sie Klapse verteilte, ihr Hintern wackelte und sie den Kopf in den Nacken warf, schien immer ein potenzieller Donnerschlag zu lauern. Wenn ich die mit versteckter Kamera aufgenommenen Filme sehe, in denen echte Babysitter und Kindermädchen plötzlich sauer werden und die Kleinen verdreschen, muss ich immer an meine Zeit mit Eula-Beulah denken.
    War sie zu meinem Bruder David genauso gemein wie zu mir? Keine Ahnung. Er kommt in meinen Erinnerungen an sie nicht vor. Außerdem wäre er den gefährlichen Winden des Hurrikans Eula-Beulah sowieso nicht so ausgesetzt gewesen wie ich, da er mit sechs Jahren bereits im ersten Schuljahr und daher den Großteil des Tages außerhalb der Kampfzone war.
    Einmal war Eula-Beulah zum Beispiel am Telefon, lachte mit irgendjemandem und winkte mich zu sich. Sie schlang die Arme um mich, kitzelte mich, brachte mich zum Lachen und gab mir dann, immer noch lachend, eine so heftige Kopfnuss, dass ich hinfiel. Dann kitzelte sie mich mit ihren nackten Füßen, bis wir beide wieder lachten.
    Eula-Beulah furzte oft, und zwar richtig laut und übel riechend. Manchmal, wenn sie von dieser Plage heimgesucht wurde, warf sie mich auf die Couch, drückte ihren Hintern im Wollrock auf mein Gesicht und legte los. »Peng!«,
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