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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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»ewige Anbetung« eigentlich erst um zwölf Uhr mittags beginnen und abends um sieben Uhr enden, doch die Pfarrei mit ihren vielen Dörfern konnte eine solche Aufgabe nur dann bewältigen, wenn sie in der Frühe damit anfing.
    Der müden Bäuerin fielen schon manchmal die Augen zu. Sie gähnte und ihr Spinnrad stockte.
    »Voller Schlaf bin ich schon«, meinte sie wiederum und hielt inne.
    »Geh nur ins Bett! Deinen Knäuel wickle ich dir schon auf«, sagte die Resl. Die Bäuerin stand auf und streckte ihren steifgewordenen Körper. »Jaja, ich geh«, gähnte sie abermals, nahm einen Spritzer Weihwasser an der Tür, bekreuzigte sich und verließ die Stube. Die beiden Mädchen hörten ihre dumpfen Schritte über die knarrende Holzstiege hinauf. »Ja, ich hab’s auch gleich«, sagte die flink hantierende Resl zur Genovev nach einiger Zeit und setzte dazu: »Morgen ist auch noch ein Tag.« Sie kniff endlich mit den Fingernägeln den Faden ab, und nachdem sie die Knäuel auf die Ofenbank gelegt hatte, ging auch sie zu Bett. Die Genovev werkelte mißmutig weiter. Durch ihre Langsamkeit war sie weit hinter den anderen zurückgeblieben und wollte aufholen. Sie saß da, hörte und sah nichts.
    Draußen hatte sich ein Wind erhoben und rüttelte am Gartentor. Der Regen peitschte jetzt viel vernehmbarer auf die Fensterscheiben. Die Hängelampe schwankte ein ganz klein wenig hin und her. Eine dicke, schwarze Rußsäule stieg aus dem gläsernen Zylinder und das Licht verlosch. Die Genovev murrte kurz und tappte tastend durch die Dunkelheit. In der finsteren Kuchl fand sie einen dürren Span. Im Herd glommen noch einige Brocken unter der Asche. Sie blies und blies, ging schnell mit dem erflammten Span in die Stube und zündete die Lampe wieder an. Abermals trat sie das hölzerne Pedal ihres Spinnrades. Es quietschte und schnurrte. Ganz selbstvergessen zog und drehte die Genovev den dünnen Faden. Nach einer Weile verlosch das Licht wieder. Die Genovev wurde ganz ärgerlich, zündete es von neuem an, prüfte Zylinder und Docht und sah, daß noch reichlich Petroleum im runden Behälter war.
    »Hm«, machte sie, schüttelte den Kopf und lauschte kurz. Der Wind trieb noch gleichermaßen den Regen hernieder. Die Genovev ging auf ihr Spinnrad zu, doch plötzlich wurde es wieder stockdunkel und jemand sagte: »Gehst du denn noch nicht ins Bett, wo morgen Anbetung ist?« Es war eine ganz gewöhnliche Stimme. Sie klang weder laut noch leise, weder unheimlich noch getragen. Das Mädchen aber war so erschrocken, daß es sich nicht rühren konnte. Ein rieselnder Schauer überlief seinen Körper.
    Es blieb stumm und schwarz in der Stube. Etliche Dachschindeln, die der heftige Wind losgerissen hatte, flatterten durch den Regen, schlugen leicht klappernd an die Holzwand der gegenüberliegenden Wagenremise und fielen herab. Dadurch bellte der Hund wieder auf.
    Die Genovev zuckte zusammen und spürte etwas wie Würgen an ihrem Hals. Sie wollte schreien und konnte nicht, gewann aber endlich die Herrschaft über ihre erlahmten Glieder, bekreuzigte sich geschwind und rannte, in einem fort die Worte »Jesus, Maria hilf« herausstoßend, hinauf in die Kammer der Resl. Sie schnaubte, wie vom Tode bedrängt, brach ins Knie und fing laut weinend zu beten an.
    Nach und nach erwachten alle im Haus und gingen nicht mehr zu Bett. In der Kuchl wurden geweihte Wachsstöcke angezündet, rundherum knieten die Heimraths mit ihren Kindern, Knechten und Mägden und beteten einen Rosenkranz um den anderen, bis es Zeit war, zur Anbetung zu gehen. Ein peinigender Schrecken hielt sie alle nieder. Niemand versuchte sich den Vorfall zu erklären, und wahrscheinlich erinnerte sich jeder nur an das Loch in der Stallmauer, an Teufel und Fluch.
    Am andern Tag mußte der Pfarrer ins Haus kommen. Unablässig das Weihrauchfaß schwingend und irgendwelche lateinischen Worte vor sich hinsummend, ging er mit den Heimraths durch Tenne und Stall, in den Keller und in die Kuchl, durch die Stube und in alle Kammern, zum Schlusse erteilte er der Familie den Segen. Die ängstlichen, zugleich aber auch vorsorglichen Eheleute blieben dennoch beunruhigt. Mißtrauisch und fast lästerlich zweifelnd sagten sie sich: »Für dieses eine Mal mag ja der Böse verscheucht sein, aber hat so eine kleine Weihe auch wirklich Kraft genug, ihn in Zukunft fernzuhalten?« So erwogen sie und gaben sich in ihrem frommen Eifer nicht zufrieden. Sie und ihre Kinder traten der Erzbruderschaft vom schwarzen,
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