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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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unterschied sich die Resl nicht sonderlich von ihren am Leben gebliebenen Schwestern Genovev, Marie und den Zwillingen Anna und Katharina, aber sie war die kräftigste und gesündeste von ihnen und darum vielleicht mochte sie der Heimrath gern. Die Genovev, die – nachdem der einzige Sohn mit kaum sieben Jahren gestorben war – als Älteste einmal den Hof bekommen sollte, war ihm zu mißlaunisch und bigott, die Marie zu einfältig, von den Zwillingen sagte er, die Anna sei zwar dürr, aber zäh, und wegen ihrer Kleinheit werde sie nie eine rechte Bäuerin, die schwerfällige Katharina glich wieder zu sehr der Genovev. Bei der Resl hingegen zeigte sich sehr bald, daß sie ganz ihrem Vater nachgeriet. Schon mit elf und zwölf Jahren mähte sie – wie man sich beim Heimrath ausdrückte – »jeden Knecht in Grund und Boden«, und sie war selbst nach der schwersten Arbeit noch ausgeglichen heiter wie am Anfang.
    »Müllerisches hat sie gar nichts«, warf der Heimrath manchmal hin, denn seine Bäuerin war eine Tochter des Müllers März in Berg, einem kleinen Ort am weitbekannten Starnberger See, den man von Aufkirchen überschauen konnte. Glatt und ruhig lag er in einem weiten, langgezogenen Tal, und viele kleinere und größere Dörfer belebten seine leicht ansteigenden, waldreichen Uferhänge. Berg hatte einen besonderen Anziehungspunkt, der die Ortschaft über das rein Bäuerliche etwas hinaushob: ein königliches Schloß, das in früheren Zeiten den altbayerischen Geschlechtern der Hörwarth und Ligsalz gehört hatte und schließlich in den Besitz der Krone übergegangen war. Max II. hatte es renovieren und umbauen lassen, und seit seinem Tode wohnte sein Nachfolger, der blutjunge, überaus merkwürdige Ludwig II. oft wochenlang darin. Zu solchen »Königszeiten« herrschte regeres Leben in Berg. Staatliche Würdenträger, hohe Militärs und reiche Fremde verbrachten ihre Sommerfrische an den Ufern des Sees, und der König fuhr oft in seiner prunkvollen, von sechs blanken Schimmeln bespannten Karosse in schnellem Trab durch die Dörfer. In Aufhausen ließ er meistens halten und sich ein Glas Wasser reichen. Beim Heimrath schlugen sich die Knechte um diese Ehre, allerdings schien ihnen mehr an der Belohnung zu liegen, denn jedesmal gab es dafür einen Silbertaler.
    Der Müller und der Huber waren die größten Bauern in Berg. Sonst gab es dort nur Häusler, einige Fischer, einen Schuster und Wagner und den sonderbaren Stellmacher Graf mit seinem schweigsamen Weib und sieben hungrigen Kindern. Darunter befand sich ein zurückgebliebener Zwerg, den die Stellmacherin durch einen Schreck zu früh geboren hatte. Der Graf machte hölzerne Heugabeln und Rechen für die Bauern und brachte sich kümmerlich fort. Vier seiner Geschwister hatten sich in ferneren Gegenden zerstreut. Sein Bruder Andreas, ein Mann voll witternder Unternehmungslust und Unrast, dem es gelungen war, eine gefährlich kränkelnde Bauerntochter zu heiraten, die bald darauf starb, hauste als Witwer auf seinem verwahrlosten Weiler »Maxhöhe«, und die lediggebliebene, stille Schwester Kreszenz, die als Weißnäherin in der Leinenkammer des königlichen Schlosses arbeitete, lebte daheim. Außerdem war beim Graf noch ein weit über sechzig Jahre alter Oheim, der einst Soldat Napoleons gewesen war und den russischen Feldzug anno 1812 mitgemacht hatte. Er hieß Peter und wurde wegen seines dichten, struppigen, noch kaum angegrauten Haares der »schwarze Peter« genannt. Quer über sein breites Gesicht lief eine tiefe Schramme, die von einem Säbelhieb stammte. Eingedrückt war die rote Nase, und ihre großen Löcher standen fast flach zwischen den vielbehaarten, äderigen Backen. Verwegen funkelten Peters dunkle, stechende Augen. Er war ein mächtig gebauter, schwerfälliger Mensch und strotzte vor Gesundheit. Hin und wieder machte er Botengänge. Dabei hielt er sich gern länger in den Häusern auf, bekam auch manchmal eine Scheibe Brot mit saurer Milch und erzählte den Kindern Kriegsgeschichten aus seiner bewegten Vergangenheit, wobei er französische Ausdrücke und fremdartige Redewendungen seltsam ineinander mischte. Zwar noch immer napoleonisch und antiösterreichisch gesinnt, begeisterte er sich seinerzeit am Krieg Österreichs und Bayerns gegen die »schandmäßig gottverfluchten Prussiens« und erklärte allen dessen Zweck und Strategie in seiner phantasievollen Art. Nach dem Frieden von 1866 sagte er giftig: »Ich hab’s immer gesagt,
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