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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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hatten große Augen und offene Mäuler, und schließlich wurde ein Vaterunser gebetet.
    Wenn nun auch der jetzige Heimrath seinen Vorgängern ziemlich wesensgleich war, einige Eigentümlichkeiten unterschieden ihn doch deutlich von diesen. Vor allem war er ein heiterer, stets zu Späßen aufgelegter Mensch. Streit vermied er ängstlich. Er gab lieber nach. Bei aller eingewurzelten Frömmigkeit war er derb, schlau und keineswegs einfallslos, wenn es um seinen Vorteil ging. Er hatte eine etwas drastische Art, sich über Veranlagung und Fähigkeit anderer Menschen Gewißheit zu verschaffen. Wenn ein Knecht erstmalig bei ihm vorsprach – und er kümmerte sich nur um Knechte, die Mägde waren Sache der Bäuerin –, dann musterte er den mit freundlich-blinkenden Blicken von oben bis unten, von unten bis oben und lächelte die ganze Zeit überaus einnehmend. Er las die Zeugnisse genau und ließ den Bewerber ausführlich erzählen. Er unterbrach ihn höchstens einmal, indem er fast respektvoll lobend meinte: »Soso, beim Jani bist vier Jahr’ gewesen? … Jaja, da kennt man, was Arbeit ist.« Nachdem der Knecht endlich nichts mehr an sich zu rühmen wußte, sagte der Heimrath fast vertraulich: »Weißt du was? Geh mit mir in’n Obstgarten … Geh weiter! Aber recht schnell, ja?« Der fremde, verblüffte Mensch folgte, und sie schlichen durch den Stall hinten hinaus, ohne daß die Bäuerin etwas merkte. Im Obstgarten schlüpfte der Bauer aus seiner Joppe, warf sie ins Gras und sagte ganz gelassen: »Ich hab’ gar nichts auszusetzen an dir … nicht das allermindeste, aber bevor ich dich einstehn laß’, möcht’ ich doch deine Kraft ausprobieren.« Er machte sich bereit und der Knecht konnte nicht mehr anders. Sie rauften so lange miteinander, bis einer von ihnen endgültig überwunden auf dem Boden lag. War es der Bauer, dann sagte er unversteckt und arglos: »Jetzt, ich will dir was sagen, Hans – ich hab’ nicht gern einen Knecht, der mich wirft … Denn wenn ich regieren will, da zieh’ ich den kürzeren. Nichts für ungut, Hans, ja?«
    Der Knecht mochte noch so beteuern und haufenweise reden, der Heimrath blieb dabei und nahm ihn nicht.
    Raunzerische, eigensinnige Leute mochte der Bauer nicht. Kränkelnde oder wirklich kranke Menschen machten ihn hilflos. Vielleicht waren sie ihm sogar zuwider und unbequem. Bei seiner fast unglaublichen Gesundheit war er unempfindlich für eigenen und fremden Schmerz und kannte nichts als Arbeit, aber nie eine Müdigkeit. Er, die Bäuerin, die Dienstboten und die Kinder – wenn sie einmal acht oder neun Jahre alt waren – standen täglich um 2 Uhr in der Frühe auf. Gebetet wurde, dann die Mehlsuppe gegessen, und die einen gingen in den Stall oder aufs Feld zum Mähen. Außer den üblichen sehr einfachen Mahlzeiten gab es kein Rasten mehr bis tief in die Dunkelheit hinein. Das war im Sommer und im Winter so. Wenn rundum noch alles stumm und nachtschwarz war, in der beißend kalten Frühe, ging der Bauer mit einer Stall-Laterne auf die Tenne und hängte das trübe Licht an einen hohen Balken. Dann riß er das frostverkrustete mächtige zweiflügelige Tor auf. In dichten Schwaden strömte die kalte Luft in die dämpfige Tenne, vermischte sich mit dem Staub und wurde zu einem alles verhüllenden, dicken, nebligen Dunst, der beim Einatmen beständig zum Husten reizte. Laut und munter schrie der Bauer den Mägden und Kindern, und die mußten nun Tag für Tag mit Handflegeln das Getreide ausdreschen. Die Knechte fuhren Dünger und Jauche auf die Äcker und Wiesen, oder sie gingen mit den Bauern zum Ausholzen in die dichtverschneiten Wälder.
    So verlief die erste Jugend der Resl. Zum Lernen war bei der vielen Arbeit freilich nur wenig Zeit, aber die Schule stellte auch nicht allzu große Ansprüche, und was man von den Dingen des Glaubens wissen mußte, bekamen die Kinder von Anbeginn mit auf die Welt. Aufhausen und die nächste Umgebung blieben für sie die Welt. Zum Schulbesuch, an den Sonn- und Feiertagen, bei Begräbnissen und sonstigen kirchlichen Anlässen kamen sie nach Aufkirchen. Die alljährlichen Bittgänge führten sie hin und wieder in entferntere Dörfer, es mochte auch vorkommen, daß sie einmal an einem sonnigen Nachmittag bis zum Seeufer gingen, doch alles erschien ihnen dort so ungewohnt fremd, daß sie sich fast davor fürchteten und ungesäumt den Heimweg antraten. Sie wurden erst wieder froh, wenn sie den Aufhauser Hof erreicht hatten.
    Anfangs
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