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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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endlich vom Bösen losgelassen worden. Den Bauern aber – so dichteten fromme Leute dazu – wahrscheinlich, weil er zugelassen hatte, daß der Knecht in der hochheiligen Nacht noch etwas arbeiten wollte, soll später der Teufel geholt haben. Es ist anzunehmen, daß dieser Heimrath kein anderer gewesen ist als jener, der seinerzeit den letzten Schwedeneinfall unbetroffen überstanden hatte. Was aber nun die abträgliche Hinzufügung der Leute anlangt, die einer förmlichen Verfemung des Hofes gleichkam, so überzeugt sie auch dann noch nicht, wenn man den fanatisch übersteigerten katholischen Glaubenseifer, der die Aufkirchener Pfarrkinder in jener unduldsamen Kriegszeit ergriffen hatte, bei der Begründung zu Hilfe nimmt. Viel eher scheint einzuleuchten, daß böser Neid dabei eine bestimmte Rolle gespielt haben mag. Erst zwölf Jahre waren seit dem blinden Wüten der Schweden vergangen. Immer noch tobte der grausige Krieg an den Grenzen des Landes und konnte jederzeit wieder in die Gaue treiben. Viele waren damals umgekommen. Die Überlebenden waren tief verängstigt und litten noch schwer an vielfach erduldetem Unglück. Sicherlich wußte jeder genau, auf welche wenig gutzuheißende Weise sich der Heimrath damals der gefährlichen Feindesplage entledigt hatte. Alles war ihm geblieben. Er stand unangefochten und fest da wie sein uralter Hof. Wer weiß, am Ende spottete er sogar über die Hasenfüße, die einst so unbesonnen alles liegen und stehen gelassen und Reißaus genommen hatten. Das alles zusammengenommen kann ihm vielleicht zum Verhängnis geworden sein. Er starb, doch der Fluch lebte weiter. Das hatte eine düstere, bedrückende Wirkung. Nun nämlich zog, vermischt mit engem Aberglauben, eine scheue Bußfertigkeit ins Haus. Ein verzehrendes Schuldbewußtsein ergriff die Ersten und Letzten der Familie. Hilflos und ängstlich wurde jeder in religiösen Dingen, und die kranke Bigotterie wirkte noch weit hinein in die Reihen der Enkel. Etliche davon gingen ins Kloster, und ich kannte ein paar von ihnen, die nahe am Wahnsinn waren. In meiner Kinderzeit sah ich noch das ausgebröckelte Loch in der Stallmauer des Heimrath-Hofes, das seither gleichgelassen worden war. Jeder ging scheu und schnell daran vorüber und bekreuzigte sich stumm. Alljährlich am Tag der Heiligen Drei Könige kam der Pfarrer und weihte die Räume …
    Noch einmal, ungefähr sechzig Jahre später, im österreichischen Erbfolgekrieg, wurde der Pfarrgau Aufkirchen von Mord und Plünderung, von Jammer und langem Elend heimgesucht. Wie zu jeder Zeit, so ging es auch damals nur um trübe Machtansprüche einiger besitzgieriger Herrscherhäuser, um weitabliegende Interessen und Dinge also, die den friedlich arbeitenden Völkern unbekannt und völlig gleichgültig waren: um einen freigewordenen Königsthron in Spanien, auf den die Habsburger einen Österreicher, Frankreich dagegen einen Bourbonen setzen wollten. Die großen Mächte suchten die kleinen für ihre Zwecke zu gewinnen und lockten sie mit glanzvollen Versprechungen. Redlichkeit ist bei einer solchen Handelschaft stets eine fremde Sache. Erfolg hat dabei immer nur derjenige, welcher am schnellsten handelt, über eine unverblüffbar gewissenlose Überredungskunst verfügt und das meiste bietet.
    Der kriegsberühmte bayrische Kurfürst Max Emanuel war bis jetzt treu kaiserlich gewesen und hatte Österreich in den Türkenkriegen oftmals ausschlaggebenden Beistand geleistet, aber er war vom Kaiser schlecht entlohnt worden. Durch seine vielen kriegerischen Unternehmungen und seine ungemein verschwenderische Prachtliebe war er in hoffnungslose Verschuldung geraten und suchte vergeblich nach einem Ausweg. Das von ihm beherrschte bayrische Volk war bis an die Grenze des Möglichen ausgepreßt und gänzlich verarmt. Die Wiener Hofkanzlei, vom Kurfürsten schon öfter an die Einlösung der einstigen kaiserlichen Versprechungen erinnert, blieb taub oder vertröstete. In dieser kritischen Zeit bot König Ludwig XIV. dem bedrängten Max Emanuel, falls er mit Frankreich ein Bündnis schlösse, die Niederlande oder zum mindesten die erbliche Statthalterschaft über dieses reiche, ergiebige Land an. Das erschien dem Kurfürsten als glänzende, mühelose Rettung aus aller Not. Der Krieg begann, und er schlug sich auf Frankreichs Seite. Am Schellenberg bei Donauwörth lieferte er am 2. Juli 1704 der kaiserlichen Reichsarmee die erste und einzige Schlacht und verlor sie. Sechstausend Bayern gingen
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