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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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hat einen Montor!«
    Am anderen Tag in aller Frühe erschreckte ein eigentümliches Surren die Nachbarn. Der Kramerfeicht drosch elektrisch! Alles lief zu ihm hinüber und schaute verwundert auf den kleinen grauen Kasten, an dessen Schwungrad ein langer Treibriemen war, der von der Remise bis zur gegenüberliegenden Scheune lief und dort das viel größere Schwungrad der Dreschmaschine trieb. Die Leute standen und starrten.
    »Hmhm, jetzt sowas! Sowas! … Rein wie gehext geht das! … Man glaubt’s kaum, hmhm! … So ein kleiner Kasten und treibt das ganze Werk!« redeten sie durcheinander und kamen in die Scheune. Vom hohen Strohstock herunter warf der Sepp die aufgeknüpften Weizenbündel, droben auf der Maschine stand der Kramerfeicht und warf sie mit größter Flinkheit in die Holzrinne, das Takelwerk erfaßte sie und ratterte ohrenbetäubend. Die Bäuerin auf dem Tennenboden hatte alle Hände voll zu tun, um das herausfliegende Stroh wegzuräumen. Breit lachte der Bauer auf die verblüfften Leute herunter und schrie ohne einzuhalten: »Gell, da schaut’s! Das hat Schwung! … Jetzt kann der Martl mit den Ochsen derweil ackern, und übermorgen ist ausgedroschen!« Bisher hatte er dazu fast zwei Wochen gebraucht. Die Leute waren nachdenklich geworden, sie schüttelten die Köpfe.
    »Ein ganz raffiniertes Patent!« murmelten sie, »ganz raffiniert! Keinen Ochsen und kein Roß brauchst du mehr, hmhm! Es geht drei- und viermal so flink! Malefizisch praktisch so was!« Und heftig diskutierend gingen sie aus der Scheune. Wir Kinder waren wie behext. Die ganzen drei Tage liefen wir zwischen Motor und Dreschmaschine hin und her und entdeckten immer wieder etwas Neues, Überraschendes und Wunderbares.
    Wochenlang redeten die Dorfleute von nichts anderem. Alles, was für und was gegen so einen Elektromotor sprach, erwogen sie. Nach jeder Kleinigkeit fragten sie den Kramerfeicht, nach den Anschaffungskosten und der Leistung; mißtrauisch und genau prüften sie, ob die Ähren auch völlig ausgedroschen waren und errechneten die Ersparnisse an Geld und Zeit. Nach einem knappen Jahr hatten die größeren Bauern bei uns und in der Umgebung Elektromotoren. Bald folgten auch die kleineren. – – –
    Vor einigen Wochen hatten wir Reisenden unter Führung eines österreichischen Ingenieurs die riesige Kraftwagenfabrik »Stalin« besichtigt. Von der Gießerei kamen wir ins Walzwerk, von den Preßhämmern zu den Stanzmaschinen und von da zum laufenden Band. Unserer Delegation hatten sich vier bäuerlich aussehende, schweigsame Russen angeschlossen, die ein wenig verlegen und beunruhigt, aber mit ungemeinem Interesse jede Kleinigkeit an den Maschinen beobachteten. Sie fielen uns auf.
    »Was sind das für Leute, Genosse? … Etwa von der GPU?« fragte ich den Ingenieur geradewegs in deutscher Sprache.
    »Von der GPU? … Nein, nein!« sagte er mit leichtem Spott, sah geschwind auf die vier Männer und maß uns mit kurzen, fast mitleidigen Blicken: »Das sind ungelernte Arbeiter aus dem Schwarzerdgebiet, die müssen sich erst an die Maschinen gewöhnen … den Schrecken verlieren, verstehen Sie? … Früher, als noch Mangel an gelernten Arbeitern war, hat man in dieser Hinsicht große Fehler gemacht. Man hat solche Genossen sofort an die Maschinen gestellt, und fragen Sie nicht, was da alles passiert ist! … Es gibt nichts Neugierigeres als den Russen! Er will immer hinter jedes Ding kommen … ›Genosse‹, hat man die Leute belehrt, ›paß genau auf, so geht das! Du mußt diesen Hebel mit einem Ruck nach rechts ziehn und die Maschine läuft. Verstehst du? Nur den Hebel, ja? … Der und der Hebel, die gehn dich nichts an! Wenn du da dran rührst und rückst, haut’s den elektrischen Strom ’raus. Es gibt Kurzschluß, und die Maschine wird defekt dabei. Also nie an diese Hebel gehn! …‹ Das war vollkommen aussichtslos! Den Genossen haben gerade diese Hebel keine Ruhe gelassen. In den Fingern hat es ihnen geprickelt. Sie mußten sehn, ob das wahr war mit dem Kaputtgehn, und – ratsch! – eines Tages manipulierten sie daran. Das Malheur war da! … Jetzt ist man durch den Schaden klug geworden. Man gewöhnt sie erst daran.«
    Wir mußten laut auflachen. Die vier, die wohl gemerkt haben mußten, daß über sie gesprochen worden war, sahen noch verlegener drein und versuchten, gefroren zu grinsen. Mir wurde warm ums Herz. Die Erzählungen meines Vaters fielen mir ein, vom ersten Dampfschiff auf dem
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