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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens
Autoren: Andrea Levy
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fünf Wochen später, an einem regnerischen Freitagmorgen, betrat Isaac Cecil Levy, ein Jude, der noch nie einen Fuß in die Kirche gesetzt hatte, Thomas’ Büro. Er benötige, sagte er, eine Presse für die erste Ausgabe einer Zeitung, die er herausgeben wolle und die The Trelawney Mercury heißen solle.
    Und die Schriftsetzer klickten und klackten, die Korrektoren lasen Korrektur, und die Bengel wurden geschwenkt. Für die nächste Ausgabe schlug Thomas Kinsman Isaac Levy vor, eine aus acht Seiten bestehende Sonderbeilage zu drucken,
in der die Leute gegen Bezahlung Inserate aufgeben konnten. Und so entstand The Trelawney Mercury and Advertiser . Und Thomas wird dir – vielleicht mithilfe einer säuberlichen Zahlenkolonne – voller Freude berichten, dass die Zeitung sich als höchst profitabel erweisen sollte.
    Bald quollen aus der Druckerei von Messrs Kinsman and Co. in der Water Street Zeitungen, Almanache, Rechtsformulare, Auktionskataloge, Handzettel – amtliche Druckwerke jeglicher Art. Seine Arbeiter gründeten sogar einen Klub zur gegenseitigen Vervollkommnung, dem Thomas Bücher, Zeichenmaterial, Papier und Kerzen zur Verfügung stellte. Die Klubmitglieder trafen sich bei Sonnenuntergang, der Mitgliedsbeitrag betrug einen halben Penny, und jeder, der so spät hereingeschlendert kam, dass es hieß: »Ha! Der verpasst ja schon wieder alles!«, musste einen Viertelpenny Strafe zahlen.
    Mit sechs Metteuren, zwei Lehrlingen, acht Druckern, fünf Korrektoren, einem Vorarbeiter und einem Büroangestellten musste sich Thomas schon nach zwei Jahren größere Geschäftsräume suchen, vor denen er sein Schild aufhängen konnte.
    Hier also haben wir Thomas Kinsman – Gentleman, Drucker von hohem Ruf, wohlhabender schwarzer Geschäftsmann, der glänzende Schuhe und eine scharlachrote Krawatte trägt. Als er wie jeder in seiner Stellung aufgerufen wurde, seiner Geschworenenpflicht nachzukommen, saß er da und hörte mit unterdrücktem Zorn einen der beweisschwächsten, unwürdigsten und ungerechtesten Fälle – eine ausgehungerte Person sollte dafür bestraft werden, dass sie versucht hatte, sich von einem der Tiere zu ernähren, von denen mehr als genug vorhanden waren. Zugleich sah er die erbarmungswürdigste, schmutzigste und elendeste Negerin, die ihm je unter die Augen gekommen war. Plötzlich fiel ihm ein Aufsatz über eine gewisse July ein, den Jane Kinsman vor langer Zeit verfasst hatte. Eine gewisse July auf Amity. July, vormalige Haussklavin auf der Zuckerplantage Amity. July, ein Sklavenmädchen, das ihren Säugling vor
einer Baptistenpfarrei auf einem Stein ausgesetzt hatte. July! July! Und so kam es, dass Thomas Kinsman sich langsam von seinem Sitz erhob.
    Aber an jenem Tag, als er das erste Mal vor seiner Mama stand, sagte Thomas Kinsman natürlich nichts davon. Er tippte sich nur an den Hut und wollte July zu sich nach Hause nehmen, damit er ihr zu essen geben konnte.
    Und genau das, geneigter Leser, tat er auch.
    Als July das Haus in der King Street sah, in dem Thomas Kinsman wohnte, versuchte sie, vor dem schwarzen Mann mit der scharlachroten Krawatte davonzurennen. Seine Nächstenliebe hielt sie für eine List. Bestimmt brauchte er eine Bedienstete, die umherhuschte. Einen Brocken Fleisch im Mund und für immer einen Besen in der Hand. Nein, nein, nein, nie wieder würde sie jemandem dienen. Doch der Raum, in den er sie führte, war nicht die Küche und auch nicht der Abtritt, sondern ein Wohnzimmer, üppig mit Büchern bestückt:Von der Decke bis zum Boden war jede Zimmerwand mit ledergebundenen, goldgeprägten Bänden bedeckt. Er bot ihr keinen wackligen, zerbrochenen Holzstuhl zum Sitzen an, sondern einen eleganten Polstersessel mit einem weichen roten Kissen. Und die Milch, die er seinem Dienstmädchen zu bringen befahl, wurde ihr in einem Glas gereicht; was July an jenem Tag, da Thomas Kinsman sich erstmals zu ihr setzte, an die Lippen führte, war die süßeste, sahnigste Milch ihres Lebens.
    Sein Atem stockte, seine Finger nestelten an den Rundungen seiner Fingernägel, seinem Ehering, seinen Manschetten, und sein Kopf war gesenkt, als er July leise sagte, er glaube, ihr Sohn zu sein. Er habe diesen Tag herbeigesehnt, jedoch befürchtet, dass er niemals kommen werde. Er habe sie tot geglaubt. Aber jetzt müsse er sich fragen, ob er endlich vor der Frau sitze, die ihm das Leben geschenkt habe. Und als er fragte, ob sie einst ihr Wurm vor einer Baptistenpfarrei auf einem Stein abgelegt
habe,
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