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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens
Autoren: Andrea Levy
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beide, Männer wie Kerzen, nicht die richtige Farbe.
    Ihre Aufträge erhielten Gray and Co. vom Parlament. Den ganzen Tag über trafen von dieser ehrwürdigen Einrichtung ausgesandte Dienstmänner ein, beladen mit Kolonialdokumenten, Ausschussberichten, Wahlergebnissen, Statistiken und Abrechnungen. Bogen um Bogen handschriftlicher Windbeuteleien, die Linus Gray vor die Augen kamen, damit er sie kollationierte und formatierte, ihren Wert beurteilte und einen Preis aushandelte, bevor die vier Schriftsetzergesellen Anweisung erhielten, die Druckform herzustellen und Probeabzüge vorzubereiten.
    »Caslon«, »Garamond« oder »Baskerville« wird gerufen, während die Metteure Setzkästen mit Groß- und Kleinbuchstaben dieser Schriftart suchen, so viele sie auftreiben können. Doch nie gibt es genug von diesen Bleilettern. Der Lehrling wird beauftragt, die eben verwendeten Lettern zu säubern, damit er einen
ständigen Vorrat bereitstellen kann und der Setzer nicht gezwungen ist, sich aus Mangel an E mit ausgefallenen Schreibweisen zu behelfen. Den Winkelhaken in der Hand wie ein Künstler seine Palette, steht der Metteur vor seinem Schließrahmen und blickt erst auf das Manuskript, bevor er die Bleilettern – klickklack – zu einer Zeile fügt. So wird der gesetzte Text Zeile für Zeile in den Rahmen eingehoben, die metallenen Wörter werden mit einem Hammer festgeklopft und die freien Räume mit hölzernen Schließstegen ausgefüllt. Schließzeuge klemmen den Satz im Rahmen fest. Und wenn eine Druckseite gesetzt ist, wird an der Tür gebrüllt: »Probeabzug!«
    Aus dem Keller kommt ein Drucker. Tintenbekleckst und vor Schweiß genauso feucht wie das Papier, das er in der Hand hält. Schnaufend und ächzend trägt er die Druckform vier Treppenfluchten hinab. Hier setzt er sie in die Druckerpresse ein – in die Albion oder die Stanhope (fürs bloße Korrekturlesen niemals in die Columbian). Die Druckform wird eingeschwärzt, das Papier eingespannt, der Karren eingefahren, der Tiegel herabgelassen und der Abzug gedruckt.
    Nun wandert unsere Seite in den Händen des glücklosen Lehrlings wieder die Treppen hinauf zum obersten Stockwerk, denn unter einem schrägen Dach im Verschlag des Obergeschosses sitzen die Korrektoren. Gewöhnlich drei Männer, und die Einzigen in dieser Reihe dunkler Höhlen, die zwar Tinte an Händen und Fingern haben, davon aber nicht schwarz wie die Kaminfeger geworden sind. Und diese Männer gehen den Probeabzug auf Fehler, Irrtümer und Versehen durch. Bei Tageslicht, im Schein einer Leuchte oder im schwachen Schimmer einer Kerze werden die Fehler gefunden und markiert.
    Dann reist die Seite wieder treppab nach unten, wo der Setzer über die Fehler seufzt, die er ausmerzen soll. Kaum sind sie verbessert worden, heißt es wieder: »Probeabzug!« Drei Mal muss sich die Druckwalze herabsenken, bis eine Form endlich in Druck gehen kann.

    Daraufhin wird unten im Kellergeschoss mit dem Druck begonnen. Auf vier robusten eisernen Pressen – die im Boden so fest verankert sind wie die Fänge im Rachen eines Löwen – machen sich mit nacktem Oberkörper die Drucker an die Arbeit.Wenn ein Drucker Papier anfasst, kann seine Berührung so zärtlich sein wie die einer Dame, die ihre Röcke befühlt. Doch wenn diese Männer erst einmal drucken, wenn sie erst einmal ihren Rhythmus gefunden haben – Druckform einschwärzen, Karren verschieben, Bengel anziehen –, wirken sie wie große Goliathe, die eine Bestie aus Metall antreiben. Und über ihnen halten die Korrektoren ihre vibrierenden Tintenfässer fest, die Metteure sichern ihre klickenden Lettern, Linus Gray beschwert seine zitternden Papiere, und der Teufelslehrling, ob auf der Treppe, in einem Verschlag oder Schrank, hält sich fest, denn bei all der Emsigkeit fängt das ganze Gebäude in der Water Lane zu wackeln an.
    Thomas Kinsman lernte in diesem Druckhaus jeden Handgriff zu beherrschen: Er war genau beim Setzkasten, kräftig bei der Druckerpresse und unerschütterlich im Büro; doch die Tätigkeit, in der er sich mehr als in allen anderen hervortat, war die des Korrektors. Keiner zog Linus Grays Prahlerei in Zweifel, dass sein Schwarzer Tom der beste Korrektor in ganz London sei. Keiner außer einem.
    Als dieser gebildete Mann, dieser »Gelehrte von hohem Ruf« erfuhr, dass der angesehenste Korrektor von Gray and Co. ein Nigger war, beschloss er, seine zu druckende Broschüre lieber selbst Korrektur zu lesen.
    »Ihr Negerjunge«, sagte der
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