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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens
Autoren: Andrea Levy
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verwahren, warf sich das Sklavenmädchen, dessen eigene Haare verfilzt waren wie Rohwolle, ihm zu Füßen, umklammerte seine Beine und bettelte: »War ’n Fehler, Massa. Mach ich nie wieder, Massa. Ich lern’s. Missus bald zufrieden mit mir und lächelt«, um ihrer Strafe zu entgehen.
    Carolines Schwägerin Agnes hatte, da sie als Kreolin auf der Insel geboren war, keinerlei Schwierigkeiten, sich die nötige Hilfe zu verschaffen. Ihre Kleidung wurde über Nacht gebügelt und am nächsten Morgen überreicht, ihr wurde ein Krug Wasser zum Waschen gebracht, der Nachttopf geholt und geleert, das Zimmer ausgefegt, wenn sie nicht zugegen war, damit sie an dem Staub nicht erstickte, und bei Tageslicht wurden ihre Fensterläden für sie geöffnet.
    Caroline fiel jedoch auf, dass Agnes die Sklavinnen in deren eigener sonderbaren Sprache befehligte. Sie konnte die Negerinnen mit derselben Lautstärke anschreien, mit der sie das untereinander taten. Agnes war hochschwanger, und obwohl von zartem Körperbau, ließ sie sich von ihrem unförmigen, vorgewölbten Bauch durchaus nicht beeinträchtigen, wenn sie ihre Sklavinnen schalt. Ja, sie hoppelte verrückt wie ein Märzhase umher – fuchtelte mit den Armen, stampfte mit den Füßen, fauchte, kreischte, klatschte und keifte, um ihren Willen durchzusetzen, bis sich ihr dichtes rotes Haar aus seinem Band löste.
    Hatte sie diese anstrengende Aufgabe bewältigt, legte Agnes sich auf ihr Ruhebett und ließ die Arme herabbaumeln, zu erschöpft, um sie anzuheben. Dann war sie nicht in der Lage, auch nur die einfachste Frage von Caroline zu beantworten, ohne dass sich Überdruss in ihren Tonfall schlich oder ein sanftes Schnarchen einsetzte – manchmal geschah dies, noch während Caroline sprach.
    Bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Agnes, im Salon des Herrenhauses, hatte ihre Schwägerin in einem einzigen, bei Caroline fast Schwindel auslösenden Atemstoß behauptet, ihre Familie stamme aus Schottland. Mit Ausnahme von Agnes’
flammendem Haar, der Fülle von Sommersprossen im Gesicht und am Hals (die sie ohne Scheu zeigte, statt sie mit einem kosmetischen Präparat zu kaschieren) und einer Unmenge karierter Verzierungen an den Sesseln des Zimmers konnte Caroline an dieser temperamentvollen jungen Frau nichts Schottisches entdecken.
    »Du musst denen zeigen, wer die Herrin ist und wer die Sklavin. Gib denen keine Möglichkeit, Unfug mit dir zu treiben. Die sind listenreich, Caroline«, sagte Agnes, als sie Caroline im Umgang mit Sklavinnen unterwies. Sie benutzte Molly als Beispiel, rief das Sklavenmädchen zu sich und deutete mit dem Zeigefinger auf ihr blaues Auge. »Die hat mir ’n Schuh so eng gebunden, dass ich hab schreien müssen. Hat mir zu Füßen gesessen, da hab ich ihr ’nen Tritt gegeben. Meinste, die bindet mir ’n Schuh noch mal so eng? Nein, nein, nein – die hat dazugelernt.« Sie stieß Molly nach vorn, damit Caroline die Quetschwunde auf den Abdruck von Agnes’ Schuh hin untersuchen konnte, und sagte: »Sei streng. Diese Schwarzen sind wie Kinder – allen muss man zeigen, was gut ist und was schlecht.«
    Und jede Nacht seit ihrer Ankunft auf der Insel hatte Caroline das Keuchen, Kichern und Po-Klatschen mit anhören müssen, das aus dem Zimmer ihres Bruders durch die Wand in ihr eigenes Zimmer drang. Denn dieses prächtige Haus, das mit so viel vulgärem Prunk ausgestattet war – selbst das Silber war vergoldet –, hatte trotz allem Schlafzimmerwände, die nicht hoch genug waren, dass sie bis zum Holz der Traufe hinaufgereicht hätten. Der lächerliche Lärm der Nachtgeschöpfe mit ihrem ewigen Gekrächze konnte die lustvollen Geräusche, die Agnes – o ja, Agnes – allnächtlich von sich gab, nicht übertönen. Ihr Bruder, befand Caroline, hatte recht daran getan, Agnes nie nach England mitzunehmen, denn die groben, abscheulichen Manieren seiner Frau und ihre alberne Sprechweise hätten gewiss dafür gesorgt, dass man sie weggesperrt hätte.

    Nach zwei Wochen in Agnes’ Gesellschaft – in denen selbst eine kleine Stickerei oder das Arrangieren von Blumen in einer Vase zu anstrengend für ihre Schwägerin zu sein schien, denn sie verschlief so viele Stunden des Tages auf ihrem Ruhebett, dass Caroline schon glaubte, vielleicht werde sie wie eine Fledermaus nur nachts lebendig – musste Caroline sich eingestehen, dass sie sich langweilte. Sie begann sogar, sich nach der Gesellschaft von Mary, ihrer Zofe, zu sehnen, obwohl diese in der ganzen Zeit
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