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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis
Autoren: Jostein Gaarder
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Gegend besser aus als der Zwerg von der Tankstelle: So einen Berg und so eine Aussicht hatten weder ich noch Vater je erlebt, dabei kamen wir immerhin aus Norwegen.
    Unvorstellbar tief unten sahen wir einen kleinen Teich vor einer mikroskopisch kleinen Ansammlung von winzigen Punkten von Häusern. Das waren Dorf und der Waldemarsee.
    Obwohl es Hochsommer war, wehte uns auf dem Berg der Wind durch die Kleider. Vater meinte, wir seien viel höher über dem Meer als auf irgendeinem Berg zu Hause. Ich fand diesen Gedanken ziemlich aufregend, aber mein Vater war enttäuscht. Er gestand mir, er habe deshalb unbedingt auf diesen Berg gewollt, weil er hoffte, wir würden von hier aus das Mittelmeer sehen. Ich glaube, er hatte auch gehofft, wir könnten sehen, was Mama unten in Griechenland gerade machte.
    »Als ich noch zur See gefahren bin, war ich ans genaue Gegenteil gewöhnt«, sagte er. »Ich konnte stunden- und tagelang an Deck stehen, ohne Land zu sehen.«
    Ich versuchte mir das vorzustellen.
    »Das war viel besser«, fuhr mein Vater fort, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ich fühle mich immer wie eingesperrt, wenn ich das Meer nicht sehen kann.«
    Wir begannen mit dem Abstieg und folgten einem Pfad zwischen hohen Laubbäumen. Auch hier duftete es nach Honig. Zwischendurch legten wir uns zum Ausruhen auf den Boden. Ich zog die Lupe hervor, während Vater rauchte, und fand eine Ameise, die auf ein Stöckchen kletterte; aber sie hielt einfach nicht still, und es war unmöglich, sie zu untersuchen. Ich schüttelte sie ab und untersuchte statt dessen das Stöckchen. Es sah schön aus, so vergrößert, aber viel klüger wurde ich von dem Anblick nicht.
    Plötzlich hörten wir ein Rascheln im Laub. Vater fuhr hoch, als fürchtete er, hier oben könnten gefährliche Banditen ihr Unwesen treiben. Aber es war nur ein unschuldiges Reh. Das Tier blieb einige Sekunden lang stehen und blickte uns in die Augen, dann sprang es zurück in den Wald. Ich blickte zu Vater hinüber und begriff, daß er und das Reh sich genau gleich schlimm gefürchtet hatten. Von da an habe ich mir Vater immer als Reh vorgestellt, aber ich habe mich nie getraut, das laut zu sagen.
    Obwohl Vater schon zum Frühstück ein Viertel getrunken hatte, war er an diesem Vormittag ziemlich gut in Form. Wir liefen den Berg hinunter und blieben erst stehen, als wir eine ganze Batterie von weißen Steinen entdeckten, die wie in Reih und Glied zwischen den Bäumen lagen. Es waren sicher mehrere hundert, alle glatt und rund und keiner größer als ein Stück Würfelzucker.
    Vater blieb stehen und kratzte sich am Kopf.
    »Meinst du, die wachsen hier?« fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich rieche rieche Menschenfleisch, Hans-Thomas.«
    »Aber ist es nicht ein bißchen seltsam, so weit weg von aller Welt den Waldboden zu schmücken?«
    Er antwortete nicht sofort, aber mir war klar, daß er mir da zustimmte.
    Wenn mein Vater etwas nicht leiden konnte, dann das, für etwas keine Erklärung zu bekommen. In solchen Situationen erinnerte er mich ein bißchen an Sherlock Holmes. Schließlich sagte er: »Das Ganze erinnert an einen Friedhof. Jedes einzelne Steinchen hat seinen ihm zugewiesenen Platz von einigen wenigen Quadratzentimetern...«
    Ich erwartete schon, daß er sagen würde, die Dörflinge hätten hier winzig kleine Legomenschen begraben, aber das wäre sogar für ihn eine zu wilde Vermutung gewesen.
    »Wahrscheinlich haben ein paar Kinder Marienkäfer verbuddelt«, sagte er, und es war ganz offensichtlich, daß er verzweifelt nach einer besseren Erklärung suchte.
    »Kann schon sein«, sagte ich. Ich betrachtete gerade einen der Steine durch die Lupe. »Die Marienkäfer selbst haben die weißen Steine jedenfalls kaum hier ausgelegt.«
    Vater lachte übertrieben. Er legte mir einen Arm um die Schulter, und wir setzten, etwas langsamer als vorher, den Abstieg fort.
    Bald kamen wir an einem kleinen Holzhaus vorbei.
    »Meinst du, hier wohnt jemand?« fragte ich.
    »Natürlich!« antwortete Vater.
    »Wieso bist du dir da so sicher?«
    Er zeigte nur auf den Schornstein. Ich sah, daß dünner Rauch herausquoll.
    Gleich unterhalb des Hauses tranken wir Wasser aus einem Rohr, das aus der Böschung eines kleinen Bachs hervorlugte. Mein Vater bezeichnete es als Brunnen.

PIK VIER
    ... was ich in Händen hielt, war ein Büchlein...
    Als wir wieder in Dorf ankamen, war schon späterNachmittag. »Und jetzt dringend was zu essen«, sagte Vater.
    Das große
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