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Das Joshua Gen (German Edition)

Das Joshua Gen (German Edition)

Titel: Das Joshua Gen (German Edition)
Autoren: Andreas Krusch
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befolgte die Anweisung aus dem Kopfhörer und drehte das Abhörmikrofon bis zum Anschlag auf. Ein schriller ohrenbetäubender Ton setzte ein. Rasch nahm Garry die Lautstärke zurück. Aber der schrille Ton blieb. Mehrere Personen kamen in das Krankenzimmer gelaufen, alarmiert durch das Signal des Herzmonitors. Deutlich war die Null-Linie darauf zu sehen. Herzstillstand. Das Bett verschwand im Gewimmel von Ärzten und Schwestern. Garry stellte die Kamera wieder auf Weitwinkel. »Verdammt!«, rief es aus seinem Kopfhörer. »Verdammt noch mal, wo ist die junge Frau hin?!«

    Sie rannte, den tönernen Krug fest an sich gepresst. Versiegelt vom Apostel Petrus hatte ihre Sippe ihn einst bekommen. Es hieß, dass auf dem Leichentuch darin das Antlitz Jesu zu sehen sei. Niemand hatte es gemalt. Es war von selbst entstanden. Und in den Höhlen von Qumran hatte das wundersame Tuch den ersten großen Krieg unbeschadet überstanden. Doch nun drohte ein noch größerer Krieg. Ein Römer war gekommen, Jerusalem zu vernichten und alles Jüdische und Christliche im Lande gleich mit.
    »Verflucht seiest du, Kaiser Hadrian!«, flüsterte sie mit jedem stechenden Atemzug und hastete weiter barfüßig über Stock und Stein dem fernen Edessa entgegen, der letzten Zuflucht aller Gläubigen aus Judäa. »Verflucht seiest du!«

    Du sollst nicht fluchen. Vince las den Aufkleber neben der Sonnenblende ein zweites Mal. Es half nichts. »Verfluchter, gottverdammter Idiot!« Er rief es durch die verregnete Windschutzscheibe. »Jetzt fahr doch!« Der Wagen vor ihm blieb trotz grüner Ampel stehen.
    Wütend hupte Vince. Er fühlte sich plötzlich gefangen. Sein unruhiger Blick fiel auf die Uhr neben dem Tacho. Zu spät, zu spät, spotteten die Zeiger. Ihm brach der Schweiß aus. Marian würde ihm den Kopf abreißen. Aber vorher würde sie noch Max gegen ihn aufbringen. Weißt du, wieso dein Daddy nicht zu deinem Geburtstag kommt? Weil Rabenvätern Geburtstage egal sind! Vince schlug auf die Hupe ein.
    Kurz dachte er an den Tipp seines Therapeuten. Durchatmen hilft. Tiefes Durchatmen. Er tat es. »Fahr endlich – dämliches Arschloch!«, brüllte er mit nun gut gefüllter Lunge. Doch der Ford vor ihm bewegte sich immer noch nicht.
    Und jetzt erkannte Vince auch, warum. Jemand blockierte die Kreuzung. Er starrte die schlanke, junge Frau an. Sie stand da im Regen mitten auf der Straße und lachte zum Himmel hinauf. Ihr kurzes, nasses Haar war schwarz wie ihr Trenchcoat, und ihr Augen-Make-up rann dunkel über das blasse Gesicht den Hals hinab.
    »Ach du Scheiße«, murmelte Vince, »die muss voll auf Droge sein.«

    Sie war weggerannt, weg von dem Krankenzimmer, weg von der Hektik des Klinikpersonals, weg von den Apparaten, auf denen der Tod seine schrille Melodie gepfiffen hatte. Sie war durch die Straßen gerannt, bis die Atemnot und das Stechen in der Seite ihren Lauf gebremst hatten. Dann war sie einfach stehen geblieben, alles war stehen geblieben. Es gab nur noch den einen klaren Gedanken. Nun ist er tot. Das kleine Mädchen hinter dem Zaun des Kinderheims blickte mit ihr zum Himmel hinauf. Er hatte all sein Blau verloren. »Tot«, sagte es und begann, schrill zu lachen.

    Vince’ Nackenhaare stellten sich auf. Solch irres Lachen hatte er seit sehr vielen Jahren nicht mehr gehört. Und er hatte es auch nie mehr hören wollen. Er griff in das Handschuhfach, suchte nach seinen Pillen, spürte, wie er sich unter der Erinnerung zu verspannen begann. Das lange Vergessene stieg aus den Kerkern seines Gedächtnisses empor, schlängelte sich um seine Füße, um seine Beine, kroch höher, nahm ihm die Luft. Geräusche, Gerüche, Gesichter, sie füllten das Wageninnere. »Schluss damit!« Vince drückte kräftig auf die Hupe.
    Die Fahrer vor und hinter ihm schlossen sich an. Aus einigen geöffneten Wagenfenstern flogen der zierlichen, jungen Frau auf der Kreuzung wüste Beschimpfungen entgegen. Sie ließ den Kopf sinken. Ihr Lachen war längst verstummt. Und für einen winzigen Augenblick sah Vince dort im kalten Regen nur ein einsames kleines Mädchen stehen.
    Jeden Tag eine gute Tat. Er hasste den vergilbten Aufkleber am Aschenbecher der Mittelkonsole. Mürrisch seufzend ließ er das Seitenfenster herunter.
    »Hey, junge Frau, Taxi gefällig?!«

    Garry saß allein vor der Monitorwand in dem abgedunkelten Raum tief unter der Erde. Drei Stockwerke tief. Darunter gab es weitere Stockwerke, doch für die hatte er keine Zugangsberechtigung. Er blickte
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