Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Inferno Roman

Titel: Das Inferno Roman
Autoren: Richard Laymon
Vom Netzwerk:
schrie, kreiselte und schrie: »Oh je, oh je, oh je, oh je.«
    Ein tellergroßes Stück Putz fiel direkt vor ihr von der Decke. Entweder hatte sie die Gefahr gewittert oder nur gehöriges Glück gehabt, jedenfalls brachte sie ihren Rollstuhl noch rechtzeitig zum Stehen. Der Deckenputz fiel ihr genau vor die Füße. »Oh je, oh je, oh …«
    »Hey, Ma«, brüllte Stanley, »der Himmel fällt uns auf den Kopf!«
    Sie schien ihn nicht zu hören.
    Irgendein anderer jedoch möglicherweise schon, denn in diesem Augenblick stürzte das Haus ein. Wenn auch nicht ganz.
    Der Hausteil, in dem sich das Wohnzimmer befand, blieb vom Einsturz verschont.

    Aus seinem zurückgeklappten Polstersessel konnte Stanley lediglich sehen, was bis zum Durchgang zum Esszimmer passiert war: Deckentrümmer hatten Tisch und Stühle zerschmettert und unter einem Berg von Schutt, Holz und Stuck begraben. Durch den dicken Staubnebel konnte Stanley sehen, wie die Sonne den Schutthaufen beschien.
    »Heilige Scheiße«, murmelte er.
    Ich schaffe besser schnellstens meinen Arsch hier raus, dachte er.
    Er stellte sich vor, wie er auf dem Weg zur Eingangstür einen Umweg machen würde. Wie er Mutter aus dem Rollstuhl hob und mit ihr loslief, links und rechts auswich, wenn die Stützbalken um ihn herum fielen. Wie er es gerade noch aus der Tür schaffte, bevor der Rest des Hauses einstürzte.
    Denk nicht so lange nach und TU endlich was!
    Was ist, wenn ich sie zurücklasse?
    Was, wenn ich sie zurücklasse und das Haus einstürzt?
    Das wäre doch wirklich tragisch.
    Schaff bloß deinen eigenen Arsch hier raus - aber schnell!
    Als er sich vorbeugte und die Absätze gegen die Fußablage stemmte, brach das Beben ab.
    Auf das Getöse folgte tiefe Stille.
    In die Stille mischten sich nach und nach leise Geräusche. Stanley konnte hören, wie das Haus knarrte, als die Erschütterungen nachließen. Er hörte das ferne Aufheulen von Alarmanlagen in Autos und Häusern. Weit weg bellten Hunde.
    Vom Rollstuhl seiner Mutter war nichts zu hören. Von ihrer Stimme auch nicht.

    Er sah sie an.
    Bewegungslos saß sie im Rollstuhl, immer noch vornübergebeugt, die Hände um die Felgen gekrampft.
    »Mutter?«
    Sie bewegte sich nicht.
    »Mutter, alles in Ordnung?«
    Stanley erhob sich aus dem Sessel.
    »Mutter?«
    Sie hob den Kopf. Weißer Staub und Gipsbrocken fielen ihr von Haar und Schultern, als sie sich aufrichtete. Die pinkfarbene Brille saß schief auf ihrer Nase. Sie richtete sie und blinzelte Stanley an. Ihr Kinn zitterte. Spucke rann ihr aus dem Mund und zog feuchte Spuren im Gipsstaub.
    »Ist es vorbei?«, fragte sie mit zittriger dünner Stimme.
    »Es ist vorbei«, bestätigte Stanley.
    Er ging zu ihr.
    »Was machen wir jetzt nur?«
    »Keine Sorge«, sagte Stanley.
    Er kniete sich neben ihrem Rollstuhl nieder und hob ein Stück Putz von der Größe eines Pflastersteins auf. Er hielt es über ihren Kopf.
    An ihrem Gesichtsausdruck konnte er sehen, dass sie wusste, was kommen würde.
    »Stanley!« Sie zuckte zurück und hob ihren Arm.
    Der schwere Gipsbrocken brach entzwei, als er ihren Kopf traf. Es knackte. Sie grunzte. Ihre Brille rutschte bis zur Nasenspitze, fiel aber nicht herunter.
    Stanley hielt die Hälfte des Gipsbrockens in der Hand. Die andere Hälfte prallte an Mutters rechter Schulter ab und fiel zu Boden.
    Sie saß einen Augenblick still.

    Stanley hob den Brocken.
    Als er überlegte, ein weiteres Mal zuzuschlagen, sank ihr Kopf nach vorn. Langsam rutschte sie vor. Ihre Brille fiel auf ihren Rock und zog ein kleines Tal zwischen ihre Schenkel.
    Sie beugte sich weiter und weiter vor, als hoffte sie, zwischen ihren Knien hindurchsehen zu können und etwas Wundervolles unter ihrem Rollstuhl zu entdecken.
    Stanley trat einen Schritt zurück und betrachtete sie.
    Sie rutschte so weit nach vorn, dass ihre Handknöchel den Schutt auf dem Boden berührten. Dann hob sich ihr Oberkörper aus dem Rollstuhl. Ihr Kopf prallte auf den Boden. Sie machte einen unbeholfenen, schiefen Purzelbaum, der mehr von ihrer grauen Strumpfhose entblößte als Stanley lieb war. Hart schlugen die Beine auf, und der Aufprall ihrer Absätze ließ die Scherben des eingeschlagenen Fensters aufspritzen. Sie bäumte sich auf, als ob sie sich setzen wollte, fiel dann wieder um und lag still.
    Stanley trat mit der Schuhspitze seines Mokassins nach ihrer Hüfte.
    »Mutter? Mutter, alles in Ordnung?«
    Sie regte sich nicht. Sie gab keine Antwort.
    Er versetzte ihr einen anständigen Tritt.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher