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Das Hexenkreuz

Das Hexenkreuz

Titel: Das Hexenkreuz
Autoren: Hanni Muenzer
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dringend. Der quer
über seine Brust geschnallte Lederriemen, an dem ein länglicher Briefbehälter
hing, wies ihn als Boten aus. Unentschlossen verharrte der junge Mann auf der
Stelle. Schließlich löste er den Behälter. Er führte den Vorgang mit größter
Behutsamkeit aus, als könnte ihm dieser bei unsachgemäßer Behandlung in den
Händen explodieren wie eine falsch geladene Muskete. Er kannte den Inhalt der Depesche.
Tatsächlich enthielt sie eine Nachricht von höchster Sprengkraft. Drei Wochen
hatte es ihn gekostet, um sie sicher von Paris nach Rom zu befördern. Seine
Beine waren schwer und sein Magen leer.
    Das
Schriftstück, das er im Auftrag des französischen Provinzials des
Jesuitenordens mit sich führte, würde mit Sicherheit nicht zur Besserung der
Laune des Pater General beitragen.
    Nun erschien
der 19. Generalobere des Jesuitenordens, Lorenzo Ricci, höchstselbst im
Türrahmen. Seine ganze aufrechte Person sonderte Wut ab - was erstaunlich
anmutete bei einem Mann, der allseits für sein ausgeglichenes Gemüt bekannt
war. „Wer seid Ihr? Und was habt Ihr hier zu suchen?“, blaffte er den
Unbekannten an, kaum dass jener in sein Blickfeld geriet.
    Der Bote verbeugte
sich: „Eure Eminenz, mein Name lautet Pater Francesco Colonna, und ich
überbringe Euch eine eilige Botschaft aus Paris.“ Er streckte seinem Superior das
Dokument entgegen. Besser gleich in die saure Frucht beißen …
    Ricci
erkannte das Siegel. Flink huschten seine kleinen dunklen Augen über das
Pergament; die Zornesröte wich einer jähen Blässe. Anschließend winkte er den
Pater in sein Büro und wies auf einen Armsessel vor seinem Schreibtisch. Er
selbst nahm dahinter Platz und legte die Fingerspitzen aneinander. Mehrere
Sekunden musterte er sein Gegenüber. Der Bote fühlte sich dabei bis auf den
Grund seiner Seele durchleuchtet.
    Schließlich
murmelte Ricci: „Der junge Colonna, hmm? Ich kenne Euren Vater, den Fürsten.
Ein guter Mann.“ Dann hüllte sich der Pater General erneut in Schweigen.
Finster starrte er auf die Nachricht. Unvermittelt schlug er dann mit der
Handfläche darauf: „Was für eine Katastrophe! Portugal zuerst, dann die
Königreiche Neapel, Parma, Spanien und nun also Frankreich. Fürwahr, die
Bourbonen haben den Untergang der Gesellschaft Jesu beschlossen … Wenn ich
daran denke, dass Pater de La Chaize fünfunddreißig lange Jahre Beichtvater des
großen Sonnenkönigs Ludwig XIV. war. Er kannte alle seine Geheimnisse! Und nun
jagt uns sein Urenkel Ludwig XV. mit Schimpf und Schande aus dem Reich. Dabei
habe ich selbst die größte Schuld auf mich geladen. Viel zu lange habe ich auf
die Beschwichtigungen des Pater Timoni gehört.“
    Der Genannte
war für sein Gegenüber kein Unbekannter: Pater Giovanni Timoni war der
amtierende römische Provinzial des Jesuitenordens. Er hatte die Lage des Ordens
lange verkannt und zu bagatellisieren versucht. Tatsächlich aber hatte man Timonis
einzigem Argument - er hatte beteuert, dass Gott selbst zu gegebener Zeit den
Orden erretten würde -, wenig entgegen zu setzen gehabt. Doch dem Pater General
wurde das Warten auf das göttliche Wunder inzwischen zu lang.
    „Was könnt
Ihr mir über die kursierenden Gerüchte berichten, dass insbesondere der
französische Außenminister, Duc´ de Choiseul, und die Konkubine des Königs,
diese Madame Pompadour, das Verbot beim König vorangetrieben haben?“
    „Eminenz,
sie entsprechen leider der Wahrheit.“
    „Furchtbar,
einfach furchtbar“, lamentierte Ricci und schüttelte sein Haupt. „Was soll nur
mit dieser Welt geschehen, wenn sich nicht nur die weltliche Politik in die
kirchlichen Belange einmischt, sondern sich auch Frauen dies anmaßen … Betet
mein Sohn, betet für unser Heil. Wir gehen dunklen Zeiten entgegen. Der Teufel
hat sein gieriges Haupt erhoben und ich fürchte, er blickt geradewegs in unsere
Richtung.“

II
    Santo Stefano di Sessanio, 1767
     
    Wie ein gigantischer Schiffsbug ragte das Felsplateau aus dem
Berg heraus. Mitten darauf thronte die alte Burganlage von Santo Stefano di
Sessanio. Das gewaltige Felsmassiv, das im Rücken der Anlage in die Höhe wuchs,
schuf die Illusion, als hätte ein riesenhafter Bildhauer sie geradewegs aus dem
Felsgestein herausmodelliert. Dahinter erhob sich das schneebedeckte Massiv des
Corno Grande in den Himmel. Wegen seiner Form, der einer schlafenden Frau
gleicht, nennen ihn die Einheimischen auch la bella addormentata , die
schöne Schlafende.
    Ein
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