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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe
Autoren: Viktor Pelewin
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Fotomodels zu befriedigen, für den reflektierenden westlichen Mann nichts anderes, als den Ideologen der Konsumgesellschaft auf den Leim zu gehen, und das ist das Letzte.
    3. lässt sich der westliche Mann weit mehr vom sozialen Instinkt als vom biologischen leiten, sodass er selbst in einer so intimen Angelegenheit wie dem Sex den am wenigsten konkurrenzfähigen Akteuren der Marktwirtschaft eine Chance gibt.
    4. nimmt der westliche Mann an, dass die Schreckschraube ihn billiger kommt, und nach einer Stunde Peinlichkeit hat er Geld gespart, um seinen Jaguar abzuzahlen.
     
    Wie Serge, der Barkeeper, mich geheißen hatte, riskierte ich keinen Blick in seine Richtung. Hier im National denunzierte jeder jeden, man musste vorsichtig sein. Außerdem interessierte mich Serge in diesem Moment am allerwenigsten, ich war gespannt auf den Kunden.
    Zwei Anwärter für diese Rolle waren in der Bar zugegen: Ein Sikh im dunkelblauen Turban, der wie ein Schokoladenhase aussah, und ein Mann mittleren Alters im Dreiteiler, mit Goldrandbrille. Beide saßen allein – der mit der Brille trank Kaffee und sah durch den Glasgiebel auf das Hofgeviert hinaus; der Sikh las die Financial Times, seine Lackschuhspitze wippte im Takt, den die Klavierspielerin vorgab, die das kulturelle Erbe des neunzehnten Jahrhunderts meisterhaft zu akustischen Tapeten verarbeitete. Gerade spielte sie Chopin, das Regentropfen-Prélude – das der Bösewicht in Moonraker spielt, als Bond erscheint. Diese Musik fand ich himmlisch. Aus gutem Grund hatte Tolstois Witwe Sofija Andrejewna, als sie die letzten Jahre ihres Lebens an der Widerlegung der Kreutzersonate ihres Gatten arbeitete, ihr Buch Die Préludes von Chopin nennen wollen …
    Hoffentlich der mit der Brille!, dachte ich. Der spart ganz bestimmt nicht für einen Jaguar, der hat ihn schon. Geld auszugeben ist für solche wie ihn das eigentliche Abenteuer, diese Transaktion erregt sie mehr als alles Übrige – das man sich mitunter ganz schenken kann, wenn man ihnen vorher genug zu trinken gibt. Dagegen kann so ein Sikh einem ernsthaft zur Last fallen.
    Ich sandte dem Brillenträger ein Lächeln, er lächelte zurück. Na prima! dachte ich, aber da faltete der Sikh seine Finanzzeitung zusammen, stand auf und kam an meinen Tisch.
    »Lisa?«, fragte er.
    Das war mein Pseudonym für heute.
    »That's right«, erwiderte ich freudig.
    Was hätte ich anderes tun sollen.
    Er setzte sich mir gegenüber und fing sogleich an, die russische Küche madig zu machen. Sein Englisch war sehr gut, nicht wie sonst bei den indischen Einwanderern üblich – echte Oxford-Intonation, die sich in ihrer Trockenheit manchmal wie ein russischer Akzent anhört. Statt fucking sagte er freaking, wie ein braver Boyscout; es klang komisch, weil er das Wort in jedem zweiten Satz gebrauchte. Vielleicht verbot ihm seine Religion das Fluchen; mir ist, als gäbe es im Sikhismus so einen Passus. Er arbeitete als Portfolio-Manager; die Frage, wo er denn sein Portfolio habe, konnte ich mir gerade noch verkneifen. Portfolio-Manager mögen solche Scherze nicht. Das weiß ich, weil ungefähr jeder dritte Kunde im National einer ist. Was nicht heißen soll, dass das National voll mit Portfolio-Managern wäre: Ich sehe nur eben sehr jung aus, und jeder Zweite von denen ist pädophil. Ich mag diese Leute nicht, das sage ich ganz ehrlich. Eine Berufserfahrung.
    Zuerst kam er mir mit höchst altmodischen Komplimenten: Er könne sein Glück gar nicht fassen, und dass ich dem Mädchen seiner süßesten Kinderträume ähnlich sei – süßeste Kinderträume, so drückte er sich aus. Noch mehr in dieser Art. Als Nächstes wollte er meinen Ausweis sehen, um sich von meiner Volljährigkeit zu überzeugen. An derlei Nachfragen war ich gewöhnt. Ich besaß einen Pass, natürlich gefälscht, der auf den Namen Alisa Li ausgestellt war. Den hatte ich mir selbst ausgedacht – einerseits Li: ein in Korea weitverbreiteter Name, der zu meinem asiatisch anmutenden Lärvchen passte; andererseits die Füchsin Alisa im Goldenen Schlüsselchen … Der Sikh blätterte sehr ausführlich, wahrscheinlich fürchtete er um seinen guten Ruf. Dem Pass nach war ich neunzehn.
    »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte er.
    »Schon bestellt«, antwortete ich. »Kommt gleich. Sagen Sie das eigentlich zu allen Mädchen – das mit den süßesten Kinderträumen, meine ich?«
    »Nein. Das sage ich nur zu Ihnen. Das habe ich noch zu keinem Mädchen gesagt.«
    »Ah ja. Dann sage ich
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