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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen
Autoren: Jean Raspail
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daß jener Mann, der so entschlossene Ruhe bewahrte und den er Trimmer nannte, ebenso dachte wie er selbst. Jener Mann aber, der in vorderster Linie ein Beispiel gab, war niemand anderes als der Stabschef Oberst Dragasès.
    Auch die Liebe war an diesem Abend geteilt. Der Mensch hat nie das Menschengeschlecht, die Rassen, Religionen und Kulturen en bloc geliebt, sondern immer nur diejenigen, die er als seinesgleichen betrachtete, die, wenn auch im weitesten Sinn, zu seiner Sippe gehörten. Bei den übrigen mußte er sich zwingen, und man hat ihn gezwungen. Und wenn ein Übel passiert war, blieb nur noch die Auflösung übrig. In diesem seltsamen Krieg, der sich jetzt ankündigte, werden die triumphieren, die sich am meisten liebten.
    Wieviele werden es sein, die am Morgen am Strand noch stehen und fröhlich standhalten werden, wenn diese furchtbare Armee zu Tausenden ins Wasser steigen und der Ansturm der Lebenden beginnen wird, die den Toten nachfolgen? Fröhlich! Das ist wesentlich. Bei der Prüfung des Gesichts des Trimmers glaubte der Professor einen Augenblick, jener habe die Lippen bewegt, als ob er singen würde. Mein Gott! Wenn wenigstens zwei singen würden, nur zwei! Vielleicht könnten sie dann die anderen aus ihrem Todesschlaf aufwecken. Aber vom Strand hörte man nur den weichen und drohenden Singsang aus 800 000 Kehlen.
    »Prima, was!« sagte eine Stimme im Dunkeln.

2.
     

    Über die kleine Treppe zum Gäßchen war ein junger Mann geräuschlos auf die Terrasse gelangt. Mit nackten Füßen, langen schmutzigen Haaren, bekleidet mit einem blumengemusterten Hemd, einem Hinduschal und einer Afghanenjacke.
    »Ich komme von unten« sagte der junge Mann. »Fabelhaft! Fünf Jahre wartete ich schon darauf.«
    »Sind Sie allein?«
    »Augenblicklich ja. Mit Ausnahme von einigen, die schon an der Küste sind. Aber andere kommen nach. Zu Fuß. Alle Schweine hasten nach Norden. Kein Auto in die Gegenrichtung. Werden verrecken, wollen es aber nicht anders. Werden toben, sich beschießen, werden zu Fuß marschieren, statt im Schlafwagen zu fahren.«
    »Waren Sie unten, in der Nähe der Küste?«
    »Ganz nahe. Aber nicht lange. Habe Kolbenschläge bekommen. Ein Offizier hat mich Ungeziefer geheißen. Aber ich habe Soldaten gesehen, die heulten. Das ist gut so. Morgen wird man das Land nicht mehr wiedererkennen. Es wird wie neugeboren sein.«
    »Haben Sie die gesehen, die von den Schiffen gekommen sind?«
    »Ja.«
    »Und Sie glauben, daß Sie jenen gleichen? Sie haben doch eine weiße Haut. Sie sind sicher getauft. Sie sprechen französisch mit dem hiesigen Dialekt. Sie haben vielleicht in dieser Gegend Eltern?«
    »Was soll’s? Meine Familie geht jetzt an Land. Ich gehöre zu der Million Brüder, Schwestern, Väter, Mütter und Verlobten. Mit der ersten, die sich bietet, werde ich ein Kind machen, ein dunkelhäutiges Kind. Dann bin ich ihresgleichen.«
    »Sie werden gar nicht mehr leben. In dieser Masse gehen Sie unter. Sie werden nicht mal beachtet werden.«
    »Mehr will ich nicht. Heute morgen sind meine Eltern abgereist, mit meinen beiden Schwestern, die plötzlich Angst bekamen, vergewaltigt zu werden. Waren vor Angst entstellt. Sie werden sie doch erwischen. Alle werden erwischt werden. Sie konnten wohl abhauen, aber diese Leute sind erledigt. Wenn Sie das Bild gesehen hätten. Meinen Vater, wie er die Schuhe aus seinem Laden in seinem hübschen kleinen Lieferwagen verstaut hat, und meine Mutter, die heulend aussortierte. Die billigeren Schuhe wurden liegengelassen, die teuereren mitgenommen. Und meine Schwestern, die schon auf der vorderen Sitzbank saßen. Beide drückten sich eng aneinander. Sie betrachteten mich entsetzt, als wollte ich sie als erster vergewaltigen. Ich habe mich krumm und schief gelacht, besonders als mein Vater den eisernen Rolladen heruntergelassen und den Schlüssel eingesteckt hat. Ich sagte zu ihm: ›Glaubst Du, daß das was nützt? Ich mache Deine Tür ohne Schlüssel auf und zwar morgen. Und Deine Schuhe im Laden? Sie werden darauf pinkeln oder sie auch fressen, denn sie gehen ja barfuß.‹ So sind wir auseinandergegangen.«
    »Und Sie? Was wollen Sie hier tun? In diesem Dorf? Bei mir?«
    »Ich plündere. Ich glaube, daß außer der Armee und etlichen Kumpels im Umkreis von hundert Kilometern niemand mehr da ist. So plündere ich eben. Hunger habe ich keinen mehr. Ich habe schon zuviel gegessen. Um es richtig zu sagen. Ich brauche nicht viel, und außerdem gehört mir alles. Morgen
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