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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen
Autoren: Jean Raspail
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waren die Stabschefs der drei Truppenteile ebenfalls anwesend, dazu die Spitze der Polizei und Gendarmerie, die Präfekten der Departements Var und Alpes-Maritimes, ausnahmsweise in beratender Funktion der Kardinalerzbischof von Paris sowie der apostolische Nuntius und der größte Teil der in der Hauptstadt ansässigen europäischen Botschafter. In diesem Augenblick ist die Sitzung noch nicht beendet, aber der Regierungssprecher teilte mit, daß sich der Präsident der Republik um Mitternacht in einer feierlichen Erklärung an das Land wenden wird. Nach den aus dem Süden vorliegenden Nachrichten scheint sich an Bord der Einwandererflotte noch nichts zu rühren. Ein Bericht des Generalstabs der Armee bestätigt, daß zwei Divisionen gegenüber den … gegenüber dem (Der Ansager zögerte. Und wie man ihn versteht! Wie soll man denn diese zahllose elende Menge bezeichnen? Feind? Horde? Invasion? Die Dritte Welt auf dem Vormarsch?) gegenüber dieser außergewöhnlichen Invasion (Also! Er hat sich nicht schlecht herausgeredet!) bereitstehen und drei Divisionen trotz Transportschwierigkeiten zur Verstärkung nach Süden auf dem Marsch sind. Schließlich kündete der Stabschef, Oberst Dragasès, in einem letzten Kommuniqué vor fünf Minuten an, daß die Armee an der Küste etwa zwanzig Scheiterhaufen angezündet hat, auf welchen … (Der Ansager zögerte wieder; man hört ihn seufzen. Der alte Herr glaubt sogar, die Worte »mein Gott« zu vernehmen) auf denen Tausende von Leichen verbrannt werden, die von den Schiffen ins Wasser geworfen worden waren.«
    Das war alles. Und Mozart trat erneut an die Stelle der drei Divisionen, die unterwegs nach Süden waren, und der zwanzig Scheiterhaufen, die jetzt in der trockenen Luft voll brennen mußten.
    Der Professor betrat die Terrasse. Unten war der Strand vom roten Feuerschein erleuchtet. Eine Rauchwolke lag darüber. Er zog von seinem Teleskop die Schutzkappe ab und richtete es auf den höchsten Scheiterhaufen, der wie ein mehrstöckiger Turm voller Leichen brannte. Die Soldaten hatten ihn sorgfältig aufgebaut. Immer eine Schicht Holz und eine Schicht Leichen. In der Anordnung spürte man noch die Achtung vor dem Tod. Plötzlich stürzte der Turm zusammen. Er brannte zwar noch weiter, war aber nur noch eine häßliche Masse, die wie ein Schuttabladeplatz rauchte. Männer in Schutzanzügen führten Planierraupen herbei und andere Fahrzeuge, die mit Gelenkgreifern und Schaufelkasten ausgerüstet waren. Die Maschinen schichteten die Kadaver zu weichen schlammigen Massen zusammen und warfen sie auf die Scheiterhaufen. Arme, Beine, Köpfe oder auch ganze Leichen kullerten durcheinander.
    Dann sah der Professor den ersten Soldaten fliehen und seine Gangart erinnerte ihn an einen an der Schnur gezogenen Hampelmann. Eine kontrollierte Panik schien sich abzuzeichnen. Der junge Mann hatte eine von ihm herbeigeschleifte Leiche einfach liegengelassen, hastig Helm, Gasmaske und Schutzhandschuhe weggeworfen, schließlich beide Hände an seine Schläfen gepreßt und war dann wie ein erschreckter Hase im Zickzack davongerannt und hinter dem Scheiterhaufen im Dunkel der Nacht verschwunden. In den nächsten fünf Minuten taten zehn andere Soldaten das gleiche. Der Professor verschloß sein Teleskop. Er wußte genug. Die allgemeine Abneigung gegenüber andern Rassen, die selbstbewußte Überlegenheit, das Gefühl der Freude darüber, was die Menschheit schon Gutes geschaffen hat, dies alles hat in den abgestumpften Gehirnen dieser jungen Leute noch nie existiert, oder so wenig, daß die krebsartige Wucherung, die sich im abendländischen Gewissen zutiefst eingenistet hatte, rasch Oberhand gewann. In dieser Nacht kämpften nur noch beherzte Männer wirklich.
    Während der junge nette Mann davonlief, hatte der alte Calguès sein Teleskop nochmals kurz auf eine Art Koloß in Uniform gerichtet, der mit gespreizten Beinen vor dem Scheiterhaufen stand. Mit großen regelmäßigen Bewegungen seiner Arme schleuderte er die ihm gereichten Leichen hinein, ähnlich wie ein Trimmer die Kohlen in den Heizkessel eines Schiffes schaufelt. Vielleicht litt auch er bei diesem Schauspiel, aber äußerlich sah man ihm kein Mitleid an. Sicherlich überlegte er auch nicht lange, da ihm klar war, daß das Menschengeschlecht kein solidarisches Ganzes mehr bildete, wie es lange Zeit Päpste, Philosophen, Intellektuelle, Priester und Politiker des Abendlandes behauptet hatten. Zumindest unterstellte der alte Professor,
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