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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Autoren: John Boyne
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einmal an einem sonnigen Nachmittag durch den Hyde Park spazierten, tollte ein kleiner Hund auf uns zu, und Michael fiel auf die Knie, um das Hündchen zu umarmen, wobei er sich von diesem das Gesicht ablecken ließ, während er ihm, vor Entzücken glucksend, irgendwelche Albernheiten ins Ohr brabbelte, und als er aufblickte, um seine ihn abgöttisch liebenden Großeltern anzustrahlen, da traf uns diese plötzliche und unerwartete Ähnlichkeit wie ein Blitz – uns beide, dessen bin ich mir sicher. Dieser Moment war so aufwühlend, er rief so viele Erinnerungen wach, dass unsere Unterhaltung mit einem Mal etwas Gestelztes bekam und uns ein bis dahin angenehmer Nachmittag plötzlich verdorben war.
    Michael befindet sich in seinem zweiten Studienjahr an der Royal Academy of Dramatic Art, wo er sich zum Schauspieler ausbilden lässt, ein Berufswunsch, der mich verblüfft, denn als Kind war er still und zurückhaltend, als Teenager mürrisch und introvertiert, während er sich nun, mit zwanzig, ganz ungeniert im Rampenlicht präsentiert und eine extrovertierte Ader enthüllt, wie sie keiner von uns jemals bei ihm erwartet hätte. Letztes Jahr, bevor sie zu krank wurde, um derlei Dinge genießen zu können, besuchten Soja und ich eine Studentenaufführung von Mr Shaws Major Barbara , in der Michael den jungen, verliebten Adolphus Cousins gab. Er war ziemlich beeindruckend, fand ich. Überzeugend in der Rolle. Er schien auch ein wenig über die Liebe zu wissen, was mir gefiel.
    »Er ist sehr gut darin, so zu tun, als wäre er jemand, der er gar nicht ist?«, bemerkte ich hinterher zu Soja, als wir im Foyer darauf warteten, ihm zu gratulieren, wobei ich mir nicht sicher war, ob ich diese Worte als ein Kompliment verstand oder nicht. »Ich weiß nicht, wie er das macht.«
    »Ich schon«, erwiderte sie zu meiner Überraschung, doch bevor ich darauf reagieren konnte, kam Michael und stellte uns eine junge Dame namens Sarah vor, Major Barbara höchstpersönlich, seine Verlobte auf der Bühne und, wie sich nun herausstellte, im richtigen Leben seine Freundin. Sie war ein hübsches Ding, doch es schien, als wäre sie ein wenig verwirrt, oder vielleicht auch verärgert, weil sie dazu gezwungen wurde, mit zwei älteren Verwandten ihres Liebsten Small Talk zu treiben. Während unseres Gesprächs kam es mir so vor, als redete sie von oben herab mit Soja und mir, als gäbe es für sie irgendwie einen Zusammenhang zwischen Alter und Dummheit. Mit ihren neunzehn Lebensjahren verbreitete sie sich altklug darüber, wie schlimm es doch auf der Welt zuginge, und dass Mr Reagan und Mr Breschnew allein dafür verantwortlich seien. In einem harschen, gönnerhaften Tonfall, der mich irgendwie an dieses grässliche Weibsbild Thatcher erinnerte, wie es auf den Stufen zur Downing Street No. 10 den Heiligen Franz von Assisi zitierte, erklärte sie, dass der Präsident und der Generalsekretär mit ihrer imperialistischen Politik noch den ganzen Planeten zerstören würden, und dann sprach sie mit wichtigtuerischem Gehabe vom Wettrüsten und vom Kalten Krieg, von Dingen, die sie allenfalls aus ihren Studentenzeitschriften kannte und über die sie uns unbedingt aufklären zu müssen glaubte. Sie trug ein weißes T-Shirt, unter dem sich deutlich ihre Brüste abzeichneten; es war vorn bedruckt mit einem blutroten, tröpfelnden Schriftzug – Solidarn ość –, und als sie mitbekam, dass ich darauf starrte – auf den Schriftzug, ich schwöre es, nicht auf ihre Brüste –, da begann sie mit einem Sermon über den Heldenmut dieses polnischen Werftarbeiters, Mr Wałęsa. Ich fühlte mich von ihr behandelt wie ein dummer Schuljunge, ja sogar gekränkt, doch Soja hakte sich bei mir unter, um sicherzustellen, dass ich die Contenance wahrte, und schließlich teilte Major Barbara uns mit, wie absolut fabelhaft es gewesen sei, uns beide kennenzulernen, wie wahnsinnig entzückend wir doch seien, um dann in einer Traube von übertrieben geschminkten und zweifellos ähnlich überheblichen jungen Leuten zu verschwinden.
    Selbstverständlich ließ ich Michael gegenüber kein schlechtes Wort über sie fallen. Ich weiß, was es bedeutet, ein verliebter junger Mann zu sein – und übrigens auch, was es bedeutet, ein verliebter alter Mann zu sein. Manchmal kommt es mir unfassbar vor, dass dieser prächtige Junge nun sinnliche Leidenschaften erlebt; es scheint noch gar nicht so lange her, dass er nichts weiter wollte, als auf meinen Schoß zu klettern und sich von mir
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