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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes
Autoren: Louise Erdrich
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weg, aber der Raum war ziemlich klein, und es war nicht weit genug. Sie blätterte in ihrem Magazin. Auf dem Cover war ein Bild von Cher. Ich konnte die Worte neben ihrem Wangenknochen lesen: Ihr »Moonstruck« ist ein Megahit, ihr Lover erst 23, und sie ist taff genug zu sagen: »Wenn mir einer krumm kommt, mach ich ihn kalt.« Aber Cher wirkte überhaupt nicht taff. Sie wirkte wie ein verschrecktes Plastikpüppchen. Die hagere, kugelige Frau spähte an Cher vorbei und sprach die strickende Dame an.
    Ich wette, die Arme hatte einen Abort oder – sagte sie mit verschlagener Stimme – eine Vergewaltigung.
    Die Oberlippe der Frau legte ihre Hasenzähne frei, als sie mich ansah. Ihre hässliche gelbe Frisur bebte. Ich blickte ihr direkt in die wimpernlosen braunen Augen. Dann tat ich instinktiv etwas Seltsames. Ich stand auf und nahm ihr die Zeitschrift aus der Hand. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, riss ich das Cover ab und ließ den Rest zu Boden fallen. Dann zerriss ichdas Cover mitten zwischen Chers identischen Augenbrauen hindurch. Die strickende Dame schürzte die Lippen und zählte ihre Maschen. Ich gab der Frau die zwei Hälften zurück, und sie nahm sie entgegen. Dann tat mir Cher plötzlich leid. Was hatte sie mir denn getan? Ich wandte mich ab und ging vor die Tür.
    Von draußen hörte ich die schrille, triumphierende Stimme der Frau, die sich bei der Schwester beschwerte. Die Sonne war fast untergegangen. Sie wärmte nicht mehr, und mit der hereinbrechenden Dunkelheit kroch mir eine hinterhältige Kälte unter die Haut. Ich hüpfte auf der Stelle und ruderte mit den Armen. Egal was passierte, ich würde nicht wieder reingehen, bis die Frau weg war oder bis mein Vater zurückkam und sagte, dass es meiner Mutter wieder gutging. Ich konnte nicht aufhören, an die Frau zu denken. Diese zwei Wörter, die sie gesagt hatte, krallten sich, genau wie sie es gewollt hatte, in meinen Gedanken fest. Abort. Das Wort verstand ich nicht genau, aber es hatte mit Babys zu tun. Und die konnte es nicht geben. Vor sechs Jahren, als ich meine Mutter um ein Geschwisterkind anbettelte, hatte sie mir erklärt, der Arzt habe dafür gesorgt, dass sie nicht noch einmal schwanger werden konnte. Das ging einfach nicht. Blieb also nur das andere Wort.
    Einige Zeit später sah ich, wie die Schwester mit der Schwangeren durch die Stationstür ging. Ich hoffte, dass sie meiner Mutter nicht zu nahe kommen würde. Ich ging rein und rief noch einmal bei meiner Tante an, die sagte, sie würde Edward bei Mooshum lassen und gleich rüberkommen. Dann fragte sie mich, was passiert sei.
    Mom blutet, sagte ich. Dann schnürte es mir die Kehle zu.
    Ist sie verletzt? Hatte sie einen Unfall?
    Ich würgte mühsam hervor, dass ich es nicht wüsste, und Clemence legte auf. Eine Schwester kam mit unbewegtem Gesicht durch die Tür und sagte, ich solle zu meiner Mutter kommen. Der Schwester passte es nicht, dass meine Mutter mehrmalsnach mir gefragt hatte. Wiederholt, sagte sie. Ich wäre am liebsten vorweggerannt, ging aber der Schwester hinterher, einen hellerleuchteten Gang entlang und in ein fensterloses Zimmer mit Stahlvitrinen an den Wänden. Hier war das Licht heruntergedimmt, und meine Mutter trug ein flattriges Krankenhaushemd. Über ihre Beine hatten sie eine Decke gebreitet. Blut war keins zu sehen, nirgends. Mein Vater stand neben dem Bett und hatte die Hand auf die Metallumrandung des Kopfendes gelegt. Ich sah ihn zuerst gar nicht an, sondern nur meine Mutter. Sie war eine schöne Frau – das hatte ich immer gewusst. Jeder wusste das, in meiner Familie ebenso wie außerhalb. Sie und Clemence hatten milchkaffeefarbene Haut und tiefschwarze, glänzende Locken. Waren selbst nach der Geburt ihrer Kinder schlank. Ruhig und direkt, mit selbstsicherem Blick und Filmstar-Mund. Nur wenn sie in Lachen ausbrachen, verloren sie ihre Selbstbeherrschung, keuchten, grunzten, rülpsten, japsten, pupsten sogar und lachten nur noch hysterischer. Meistens lösten sie gegenseitig solche Lachanfälle aus, aber gelegentlich brachte auch mein Vater sie so weit. Selbst dann waren sie schön.
    Jetzt war ihr Gesicht verquollen, mit Striemen bedeckt und hässlich verzogen. Sie spähte durch kleine Schlitze zwischen ihren geschwollenen Lidern hervor.
    Was ist passiert?, fragte ich dümmlich.
    Sie antwortete nicht. Aus ihren Augenwinkeln kamen Tränen. Sie betupfte sie mit ihrer bandagierten Hand. Es geht mir gut, Joe. Schau mich an. Siehst du?
    Und das tat ich –
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