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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose
Autoren: Tatiana de Rosnay
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von dem verstand, was ich las. Meine Finger zitterten, mein Herz pochte wie eine Trommel. Ich musste an das denken, was Madame Chanteloup gesagt hatte: Ihre Straße war nicht gefährdet. Sie war nur ein paar Meter entfernt, am Ende der Rue d’Erfurth, und sie war nicht gefährdet. Wie konnte das sein? Wie war das möglich? Mit welchem Recht?
    Am Abend kam Alexandrine zu mir nach oben. Sie wollte über die morgendlichen Ereignisse reden und wollte wissen, wie es mir mit diesem Brief erging. Wie üblich stürmte sie herein, ein Wirbelwind aus Locken und, trotz der Hitze, einem dünnen schwarzen Schal. Freundlich, aber bestimmt bat sie Germaine, uns allein zu lassen, und setzte sich neben mich.
    Ich will sie Dir schildern, Armand, denn ich lernte sie erst ein Jahr nach Deinem Tod kennen. Ich wünschte, Du hättest sie gekannt. Seit Du von mir gegangen bist, ist sie vielleicht der einzige Sonnenschein in meinem traurigen kleinen Leben. Unsere Tochter Violette ist ja nicht gerade eine Sonne für mich. Aber das weißt Du sicherlich, nicht wahr?
    Alexandrine Walcker übernahm als Blumenhändlerin das Geschäft von der alternden Madame Collévillé. So jung, dachte ich, als ich sie vor neun Jahren zum ersten Mal sah. Jung und herrisch. Kaum zwanzig Jahre alt. Sie trampelte durch den Laden, meckerte herum und gab beißende Kommentare ab. Man muss natürlich sagen, dass Madame Collévillé den Laden nicht gerade in einem besonders sauberen und einladenden Zustand verlassen hatte. Nie sahen diese Räumlichkeiten düsterer und trister aus als an jenem Morgen.
    Alexandrine Walcker: ausgesprochen groß, eher mager, aber mit einem ungewöhnlich üppigen Busen, der aus ihrem langen schwarzen Korsett quoll. Ein rundes, blasses Gesicht, fast ein Mondgesicht, das mich zuerst fürchten ließ, sie sei beschränkt, aber da hatte ich mich schwer geirrt. Das begriff ich, kaum dass sie mich aus ihren glühenden haselnussbraunen Augen ansah. Die pure Klugheit sprach aus ihnen. Ein kleiner runder Mund, der selten lächelte. Eine schiefe Stupsnase. Und eine dichte Mähne glänzenden kastanienbraunen Haars, kunstvoll auf ihrem runden Kopf aufgesteckt. Hübsch? Nein. Einnehmend? Eigentlich auch nicht. Mademoiselle Walcker hatte aber ein gewisses Etwas, das spürte ich sofort. Ich vergaß, ihre Stimme zu erwähnen: durchdringend schrill. Sie hatte auch die merkwürdige Angewohnheit, die Lippen zu schürzen, als würde sie einen Bonbon lutschen. Doch, weißt Du, damals hatte ich ihr Lachen noch nicht gehört. Bis dahin dauerte es eine Weile. Alexandrine Walckers Lachen ist der erlesenste, schönste Klang, den man je gehört hat. Wie das Plätschern eines Springbrunnens.
    Als sie in die winzige, schmuddelige Küche und das angrenzende Schlafzimmer blickte, lachte sie ganz sicher nicht; es war so feucht, dass die Wände zu triefen schienen. Dann ging sie vorsichtig die wacklige Treppe hinunter in den Keller, wo die alte Madame Collévillé immer ihre Blumen lagerte. Alexandrine schien von den Räumen nicht gerade begeistert zu sein, und ich war verblüfft, später von unserem Notar zu erfahren, dass sie sich entschieden hatte, den Laden zu mieten.
    Gleich als sie einzog, vollzog sich eine umwerfende Verwandlung. Erinnerst Du Dich, wie finster es bei Madame Collévillé selbst am helllichten Tag immer war? Dass ihre Blumen farblos, immer gleich und, ich würde sagen, banal wirkten? Alexandrine kam eines Tages mit ein paar Handwerkern an, stämmigen jungen Burschen, die den ganzen Morgen über einen solchen Höllenlärm veranstalteten – Schläge, Hämmern, lautes Gelächter –, dass ich Germaine hinunterschickte, um nachzusehen, was dieser Krach zu bedeuten hätte. Als Germaine aber nicht mehr zurückkam, wagte ich mich selbst hinab und stand bass erstaunt in der Tür.
    Der Laden war lichtdurchflutet. Die Handwerker hatten Madame Collévillés eintönige braune Wandbehänge und den grauen Putz entfernt, sie hatten sämtliche dunklen Flecken und jede Spur von Feuchtigkeit beseitigt und strichen nun Wände und Winkel in strahlendem Weiß. Der Boden war gewienert und glänzte richtiggehend. Die Trennwände zwischen Geschäft und Hinterzimmer waren abgerissen, so dass der Laden nun doppelt so groß war. Die jungen Männer grüßten mich munter, und mir wurde klar, warum Germaine sich Zeit gelassen hatte, zurückzukommen – das war wirklich ein ansehnlicher Haufen. Und so heiter! Mademoiselle Walcker war im Keller, wo sie einen weiteren jungen Mann
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