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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose
Autoren: Tatiana de Rosnay
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in all der Eile hatten viele vergessen, einen aufzusetzen. Madame Paccards Haarknoten drohte sich aufzulösen, so heftig wackelte sie mit dem Kopf. Doktor Nonant, auch er barhäuptig, wedelte zornig mit dem Zeigefinger. Irgendwann konnte Monsieur Horace, der Weinhändler, den Lärm übertönen. Er hat sich nicht sehr verändert, seit Du von uns gegangen bist. Sein krauses dunkles Haar ist vielleicht ein wenig grauer geworden und sein Bauch zweifellos ein bisschen dicker, aber sein großspuriges Gehabe und sein dröhnendes Lachen hat er nicht verloren. Seine Augen funkeln schwarz wie Holzkohle.
    »Was habt ihr Herrschaften hier draußen denn so heiß zu debattieren! Für uns alle wird es ein Segen sein. Ich gebe einen aus – auch denen, die sonst nie in meinen Bau kommen!« Damit meinte er natürlich Alexandrine, die keinen Alkohol anrührt. Ich glaube, sie hat mir einmal erzählt, dass ihr Vater sich zu Tode getrunken hat.
    In Monsieur Horace’ Weinladen ist es feucht, die De cken sind niedrig – seit Deiner Zeit hat sich hier nichts verändert. Reihenweise Flaschen an den Wänden, klobige Weinfässer thronen auf Holzbänken. Wir versammelten uns am Tresen. Mademoiselle Vazembert nahm mit ihrer Krinoline eine Menge Platz ein. Ich frage mich manchmal, wie Frauen ein normales Leben führen wollen, eingezwängt in diese sperrigen Ungetüme. Wie um alles in der Welt steigen sie in eine Droschke, wie setzen sie sich an den Tisch, wie gehen sie mit intimen, natürlichen Dingen um? Die Kaiserin kriegt das vermutlich spielend hin, schließlich wird sie von Zofen verhätschelt, die all ihren Launen nachkommen und jedes ihrer Bedürfnisse befriedigen. Ich bin froh, dass ich eine alte Frau von fast sechzig bin. Ich muss mich nicht nach der Mode richten und mir einen Kopf machen wegen dem Schnitt meiner Mieder und Röcke. Aber ich schweife ab, was, Armand? Ich muss die Geschichte weiterschreiben. Meine Finger werden immer kälter. Ich muss bald Tee kochen, um mich aufzuwärmen.
    Monsieur Horace schenkte Schnaps in ungewohnt eleganten Gläsern aus. Ich trank meinen nicht, Alexandrine trank auch nicht. Aber das ist keinem aufgefallen. Es war viel los. Alle verglichen ihre Briefe. Diese hatten alle denselben Betreff: Enteignungsverfügung. Entsprechend unserem Grundbesitz und unserer Lage würden wir eine gewisse Summe als Entschädigung bekommen. Unsere kleine Straße, die Rue Childebert, soll vollkommen zerstört werden, um die Rue de Rennes und den Boulevard Saint-Germain weiterzubauen.
    An jenem Morgen hatte ich das Gefühl, ich wäre bei Dir da oben, oder wo immer Du nun bist, und sähe diese ganze Aufregung aus der Ferne. Und irgendwie half mir das. Und so, eingehüllt in eine Art Benommenheit, hörte ich meinen Nachbarn zu und beobachtete ihre unterschiedlichen Reaktionen. Monsieur Zamarettis Stirn glänzte vor Schweiß, und er betupfte sie andauernd mit einem seiner eleganten Seidentüchlein. Alexandrines Gesicht war wie versteinert.
    »Ich habe einen hervorragenden Anwalt«, sagte Monsieur Jubert und leerte mit einem Schluck das Glas Schnaps, das er in seinen schmutzigen, blaufleckigen Fingern hielt, »er hilft mir da raus. Es wäre absurd, meine Druckerei aufzugeben. Zehn Leute arbeiten für mich. Der Präfekt wird hier nicht das letzte Wort haben.«
    Mit einem verführerischen Schwenken ihrer Rüschenunterröcke trat Mademoiselle Vazembert vor. »Aber was können wir gegen den Präfekten ausrichten, gegen den Kaiser, Monsieur? Seit fünfzehn Jahren reißen sie die Stadt auf. Wir sind ohnmächtig.«
    Madame Godfin nickte, ihre Nase war hellrosa. Dann sagte Monsieur Bougrelle so laut, dass wir alle erschraken:
    »Vielleicht können wir Geld damit machen. Eine Menge Geld. Wenn wir unsere Karten richtig ausspielen.«
    Der Raum war rauchverhangen. Meine Augen brannten.
    »Ach, kommen Sie schon, guter Mann!«, entgegnete Monsieur Monthier scharf, der endlich aufgehört hatte zu schluchzen. »Die Macht des Präfekten und des Kaisers ist unerschütterlich. Wir haben mittlerweile genug erlebt, um das zu wissen.«
    »Leider!«, seufzte Monsieur Helder mit hochrotem Gesicht.
    Während ich die anderen schweigend beobachtete, neben einer ebenso schweigsamen Alexandrine, fiel mir auf, dass Madame Paccard, Monsieur Helder und Doktor Nonant am ungehaltensten von allen waren. Für sie stand am meisten auf dem Spiel. Das Chez Paulette hat zwanzig Tische, und Monsieur Helder beschäftigt eine ganze Mannschaft in seinem ausgezeichneten
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