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Das Gottesgrab

Das Gottesgrab

Titel: Das Gottesgrab
Autoren: Will Adams
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Er drehte sich auf den Rücken und schaute dankbar in den Nachthimmel.
    Kelonimos hatte nie von sich behauptet, ein tapferer Mann zu sein. Er war Lehrer und Heilkundiger, kein Krieger. Trotzdem spürte er den stummen Vorwurf seiner Kameraden. Zusammen im Leben, zusammen im Tod. Das war ihr Schwur gewesen. Als sie schließlich von Ptolemäus umzingelt worden waren, hatten alle anderen ohne Bedenken den Sud aus Kirschlorbeerblättern geschluckt, den Kelonimos für sie zubereitet hatte, damit sich ihre Zungen unter Folter nicht lösten. Er selbst aber hatte sich gesträubt. Plötzlich hatte er furchtbare Angst gehabt, zu früh dahinzuscheiden und dieses herrliche Geschenk des Lebens zu verlieren. Nie wieder die hohen Berge seiner Heimat zu erblicken, die saftigen Ufer ihrer Flüsse oder die Wälder aus Kiefern und Silbertannen. Nie wieder den alten Weisen auf dem Marktplatz zu lauschen. Nie wieder die Umarmungen seiner Mutter zu spüren, seine Schwester zu necken oder mit seinen beiden Neffen zu spielen. Deshalb hatte er nur so getan, als würde er das Gift nehmen. Und als die anderen um ihn herum ihr Leben aushauchten, war er in die Höhle geflohen.
    Im Mondlicht war ringsherum nichts als Wüste zu sehen; er war völlig allein. Seine Kameraden waren Schildknappen in Alexanders Armee gewesen, furchtlose Herrscher der Welt allesamt. Nirgendwo hatte er sich sicherer gefühlt als in ihrer Gesellschaft. Ohne sie war er schwach und verletzlich, hilflos in einem Land fremder Götter und unverständlicher Sprachen. Er ging den Abhang hinab, schneller und schneller, panische Angst im Nacken. Dann begann er Hals über Kopf zu laufen, bis er über eine Furche im harten Sand stolperte und stürzte.
    Während er sich aufrappelte, überkam ihn eine grauenvolle Ahnung. Im ersten Moment wusste er nicht, woher sie kam. Doch dann zeichneten sich seltsame Formen in der Dunkelheit ab. Als er sich ihnen näherte, begann er zu weinen. Er erkannte das erste Paar. Bilip, der ihn getragen hatte, als ihn seine Kraft vor Areg verlassen hatte. Iatrokles, der ihm wundersame Sagen über ferne Länder erzählt hatte. Kleomenes und Herakles waren die Nächsten. Sie waren zwar bereits tot gewesen, aber Kriminelle und Verräter wurden bei den Makedoniern gekreuzigt, und Ptolemäus hatte aller Welt zeigen wollen, wofür er diese Männer hielt. Dabei waren nicht sie es gewesen, die dem letzten Wunsch des sterbenden Alexanders nicht nachgekommen waren. Nicht sie hatten ihre persönlichen Ziele über die Wünsche ihres Königs gestellt. Nein. Diese Männer hatten nur das tun wollen, was die Aufgabe von Ptolemäus gewesen wäre: ein Grabmal für Alexander zu errichten, in Sichtweite der Ruhestätte seines Vaters.
    Kelonimos fiel die gleichmäßige Anordnung der Kreuze auf. Sie standen jeweils in Paaren da. Eins nach dem anderen. Aber ihre Gruppe hatte aus vierunddreißig Männern bestanden. Ohne ihn waren es nur dreiunddreißig. Eine ungerade Zahl. Wie konnten immer zwei Kreuze nebeneinanderstehen? Eine schwache Hoffnung keimte in ihm auf. Vielleicht war außer ihm noch jemand davongekommen. Er eilte die grauenvolle Todesallee entlang. Alte Freunde auf beiden Seiten, aber sein Bruder war nicht darunter. Vierundzwanzig Kreuze, aber an keinem hing sein Bruder. Sechsundzwanzig. Im Stillen betete er zu den Göttern, seine Hoffnung wurde immer stärker. Achtundzwanzig. Dreißig. Zweiunddreißig. Und an keinem hing sein Bruder. Weitere Kreuze gab es nicht. Einen Moment verspürte er Euphorie. Aber nicht lange. Wie ein Dolchstoß in die Rippen wurde ihm plötzlich klar, was Ptolemäus getan hatte. Rasend vor Wut und Schmerz schrie er auf und fiel auf die Knie in den Sand.
    Als sein Zorn schließlich abflaute, war Kelonimos ein anderer Mensch geworden, ein Mann mit einem festen Ziel. Er hatte den Schwur dieser Männer einmal verraten. Noch einmal würde er ihn nicht verraten. Zusammen im Leben, zusammen im Tod. Ja. Das war er ihnen schuldig. Was auch immer es kostete.

KAPITEL 1
    DIE RIFFE VON RAS MOHAMMED, SINAI, ÄGYPTEN

I
    Daniel Knox döste zufrieden an Deck, als sich die junge Frau provozierend vor ihn stellte und die Nachmittagssonne verdeckte. Er blinzelte, doch als er sah, wer vor ihm stand, fuhr er auf und blickte sich schnell um. Max hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die Auserwählte von Hassan Al Assyuti war, und der war stolz auf seinen Ruf, schnell gewalttätig zu werden. Besonders wenn es jemand wagte, in seinem Revier zu wildern.
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