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Das Glück mit dir (German Edition)

Das Glück mit dir (German Edition)

Titel: Das Glück mit dir (German Edition)
Autoren: Lily Tuck
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und nimmt sie in die Arme.
    Sie glaubt, dass Philip sie geliebt hat, aber wie kann sie sich dessen sicher sein? Wissen ist das Ziel des Glaubens. Aber wie kann sie ihren Glauben daran begründen? Durch einen logischen Beweis? Durch Axiome, die auf andere Weise verbürgt sind, und zum Beispiel durch Intuition. Wer hat sich darüber Gedanken gemacht? Sokrates? Plato? Sie weiß es nicht mehr, sie erinnert sich nur an den Namen ihrer Philosophielehrerin an der Highschool, Mademoiselle Pieters, eine Flämin, und an die merkwürdige Art, wie sie das »o« in »Plato« betonte.
    Sie sollte wieder Plato lesen. Plato könnte sie vielleicht trösten. Weisheit. Philosophie. Oder die östlichen Philosophen studieren. Zen. Vielleicht könnte sie eine buddhistische Nonne werden. Sich den Kopf scheren, ein weißes Gewand tragen, dazu billige Plastiksandalen.
    Sie hört den Wind draußen an den Ästen der Bäume rütteln. Wieder schlägt der Fensterladen an die Hausmauer. Wer wird den jetzt reparieren?
    Wer wird den Rasen mähen? Wer wird unten im Flur die Glühbirne wechseln, an die sie nicht drankommt? Wer wird ihr helfen, die Einkäufe hereinzutragen?
    Wie kann sie bloß an solche Sachen denken?
    Sie ist froh, dass es Nacht ist und dunkel im Zimmer.
    Nachts vergeht die Zeit viel freundlicher – das hat sie kürzlich irgendwo gelesen.
    Wenn sie sich umdrehen und auf den Wecker auf dem Nachttisch blicken würde, wüsste sie die Uhrzeit – zehn, elf, zwölf, oder hat schon der nächste Tag begonnen? Aber sie will nicht nachsehen. Wenn sie könnte, würde sie stattdessen die Zeit zurückdrehen. Es gestern sein lassen, letzte Woche, vor Jahren.
    In Paris, in einem Café an der Ecke Boulevard Saint-Germain und Rue du Bac. Sie sieht es genau vor sich. Es ist noch nicht Frühling, noch kalt, aber draußen auf dem Gehweg stehen schon Tische, so dass die Fußgänger auf die Straße ausweichen müssen. Es ist Sonntag und viel los. Die Kastanien haben noch nicht zu blühen begonnen, aber ein paar grüne Spitzen an den Ästen verbreiten bereits Hoffnung.
    Sie erinnert sich, was sie trägt. Eine Männerlederjacke – eine Fliegerjacke, die sie auf einem Flohmarkt gekauft hat –, einen gelben Seidenschal, Stiefel. Damals glaubt sie französisch und schick auszusehen. Vielleicht tut sie das auch. Jedenfalls hält er sie für eine Französin.
    Vous permettez? , fragt er und deutet auf den freien Stuhl an ihrem Tisch.
    Sie trinkt einen café crème und liest ein französisches Buch, Tropismes von Nathalie Serraute.
    Je vous en prie , sagt sie, ohne aufzublicken.
    Sie arbeitet ein paar Straßen entfernt in einer Kunstgalerie an der Rue Jacques-Callot. Die Galerie stellthauptsächlich amerikanische Avantgardemaler aus. Die Franzosen mögen sie und kaufen ihre Arbeiten. Momentan zeigt die Galerie einen kalifornischen Künstler, den sie bewundert. Der Künstler ist älter, bekannt, reich; er hat Nina in das Hôtel particulier an der Rive Droite eingeladen, in dem er wohnt. Er hat gesagt, sie solle Badesachen mitbringen – sie erinnert sich gut daran: ein blau-weiß karierter Bikini aus Baumwolle. Der Pool befindet sich im obersten Stockwerk des Hôtel particulier und ist wie auf einem alten Ozeandampfer mit dunklem Holz getäfelt, und anstelle der Fenster gibt es Bullaugen. Sie folgt dem Künstler in den Pool und blickt beim Schwimmen hinaus über die Dächer von Paris und sieht, wie in der einsetzenden Dämmerung die Lichter angehen. Auf dem Rücken treibend beobachtet sie den Scheinwerfer auf dem Eiffelturm, der schützend über der Stadt kreist. Anschließend schlüpfen sie in dicke weiße Bademäntel und sitzen nebeneinander auf Chaiselongues, als befänden sie sich tatsächlich auf einem Schiff und überquerten den Atlantik. Sie trinken sogar etwas – Kir royal. Sie hat noch ein zweites Mal mit ihm geschlafen, aber Schwimmen sind sie nicht wieder gegangen. Bevor er Paris verlässt, schenkt er ihr eine Zeichnung, eine kleine, in Pastelltönen gehaltene Karikatur eines Schiffs, dessen Bug die Form eines Hundekopfs hat. Die Zeichnung hängt gerahmt unten im Eingangsbereich.
    Philip macht den Anfang, indem er mit ihr über Nathalie Sarraute spricht. Er behauptet, ein Mitglied ihrer Familie zu kennen, das mit ihm durch Heirat entfernt verwandt ist.
    Damals glaubt sie ihm nicht.
    Das ist wohl seine Anmachnummer, denkt sie.
    Sie hört unten das Telefon läuten. Im Schlafzimmer hat sie es vorsichtshalber ausgeschaltet – warum, fragt sie sich?
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