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Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Titel: Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Autoren: Erin Kelly
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verklebten Spiegel gerichtet war.
    Während meine Mutter ein Wirbelwind der Begeisterung war, entsprach ich eher der Ruhe im Auge des Hurrikans; ich verfolgte die Feiern und Vorbereitungen mit der Leidenschaftslosigkeit, die damals meine Art war. Denn ich hatte ein Geheimnis, das mir Schuldgefühle verursachte– oder etwas, das sich so anfühlte, bevor ich wusste, wie Schuld und Geheimnis sich tatsächlich anfühlen. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, irgendjemandem, weder meinen Eltern noch meinen Lehrern, zu erzählen, dass dort, wo sie brennenden Ehrgeiz sahen, nur Trägheit war. Die vier Sprachen, die ich bis zu meinem sechzehnten Geburtstag gelernt hatte, waren mir mühelos zugeflogen, und wenn man mich für meine Hingabe und die Kollektion meiner frühreifen Abgangsnoten lobte, kam ich mir vor wie eine Hochstaplerin. Die Fähigkeit, meine Zunge um exotische Klänge zu schlingen und die klickenden, lispelnden, rollenden Laute fremdländischer Sprachen zu meistern, hatte ich immer schon besessen. Als Kind konnte ich die Mundarten in den Seifenopern nachahmen, die meine Eltern sich anschauten, und ich konnte reden, als käme ich aus Liverpool, Manchester oder London. Ich war zehn, als wir zum ersten Mal ins Ausland reisten, nach Spanien. Als ich nach Hause kam, sprach ich die Sprache beinahe fließend, und mein Geheimnis war ans Licht gekommen: Ich konnte mir neue Sprachen so mühelos aneignen, wie die anderen Kinder in meiner Schule Radio-Jingles oder die Sprüche aus den Cartoon-Serien nachahmen konnten. Nach ein paar grundlegenden Einweisungen in Grammatik und Syntax ging es meistens nur noch darum, mich mit dem Wörterbuch an meiner Seite durch einen oder zwei Romane zu pflügen oder zwei Filme mit Untertiteln zu sehen, und das war’s. Es ist eine Wissenschaft, keine Kunst. Es ist etwas, das ich kann, nicht bin. Bevor ich Biba kennenlernte, war es der bestimmende Faktor in meinem Leben, und wenn ich sie nicht kennengelernt hätte, wäre es das wohl noch immer.
    Der Name des Colleges beschwört Bilder von Regency-Gebäuden vor dem geistigen Auge herauf, einen Bau von John Nash mit eichenholzgetäfelten Bibliotheken und elegant gestreiften Seminarräumen. Zumindest tat er das bei mir, als ich mein Bewerbungsformular einreichte. Die Wirklichkeit war himmelweit davon entfernt. Der Hauptcampus an der Nordseite der Marylebone Road war ein kobaltblauer Hochhausblock aus den Sechzigerjahren mit Doppelverglasung, die den Verkehrslärm dämpfen sollte. Die fensterlosen Korridore waren in einem flauen Erbsengrün angestrichen, das an die Bettwäsche in einem Militärlazarett denken ließ, und in den fleckigen PVC -Böden spiegelten sich die Leuchtstoffröhren an der Decke. Es war eine schreckliche Kombination, die selbst den jüngsten Studenten alle Farbe aus den rosigen Wangen rauben konnte, aber nach der ersten Enttäuschung darüber, dass ich nicht in Krinolinen durch die Innenhöfe würde schweben können, lernte ich das Gebäude allmählich zu schätzen. Es hatte eine Neutralität an sich, die wichtig ist, wenn man verschiedene Sprachen studiert.
    Den Studentenheimen jedoch fehlte es nicht nur an Romantik, sondern auch an Privatsphäre und Sicherheit. Ich bekam ein schmuddeliges Zweierzimmer in Cricklewood zugewiesen, das einen doppelten Nachteil aufwies: Es lag zu weit außerhalb des Stadtzentrums, um cool, und nicht weit genug außerhalb, um komfortabel zu sein. Emma, meine Zimmergenossin aus Surrey, hatte ein freundliches Pferdegesicht und ein warmherziges Lachen, und sie hatte offensichtlich noch mehr Angst vor unserer neuen Umgebung als ich; ihre gebügelten, pastellfarbenen Kleider machten sie zu einer wandelnden Zielscheibe unter den neonbeleuchteten Schwarz- und Grautönen auf dem Broadway. Im Einführungsseminar lernten wir Claire und Sarah kennen, zwei Studentinnen in der gleichen Lage. Die Freundschaft war spontan, unausweichlich, notwendig.
    » Ich halte das nicht aus«, sagte Sarah zu uns, als wir an der Edgware Road auf den Bus warteten. Die Arme taten uns weh vom Gewicht der Lehrbücher in den ausgeleierten Plastiktüten der Buchhandlung Blackwell’s. » Ich werde meinen Vater bitten, irgendwo etwas zu kaufen. Dann vermietet er es an uns für weniger Geld, als wir hier bezahlen. Seid ihr dabei?« Ich dachte, sie macht einen Witz, aber im Oktober lebten wir vier als Wohngemeinschaft in Brentford, einer Gegend ohne U-Bahn-Anschluss im Westlondoner Hinterland. Aber das Haus war sauber und
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