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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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sackte wiederholt ab in einen Zustand der Verzweiflung. Zum Beleg ein Zitat aus einem Brief, den ich 1836 an Robert geschrieben hatte: »Mich hat eine niederträchtige Hypochondrie erfasst, so dass mir Gesellschaft, Weiber, Wein usw., kurz alles jetzt Pomade ist; mein einziges Vergnügen ist nur noch, mich auf ein Pferd zu setzen und herumzujagen, bis mir alle Knochen wie zerprügelt sind, damit ich nur schlafen kann, es ist ein fürchterlicher Zustand! Sende mir Geld, dann will ich einmal eine Champagnerkur versuchen, vielleicht hilft sie mir.«
    Nach einigen Zwischenzeilen mit Grüßen an »Felix le Grand«, sprich: Mendelssohn Bartholdy, musste ich meine damals bereits chronisch desolate Finanzlage durch inständiges Bitten zu erkennen geben: »Eh bien, drucke den Bach und sende mir Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold! Dein höchst übellauniger, Dich dennoch herzlich liebender J. P. Burmeister-Lyser.«

    Mit gerade mal 27 veröffentlichte ich bei Hoffmann und Campe meinen Roman
Benjamin
, »Aus den Blättern eines tauben Malers«. Ein Werk, in dem ich Erlebtes und Erlittenes frei umsetzte – ich bezeichnete es zutreffend als »Versuch eines Versuches«. Der Verleger bat mich, dies im Klappentext zu begründen, was denn wie folgt geschah: »Ich griff hinein ›ins bunte Menschenleben‹ und in mein eigenes … Mein Buch enthält nur Wahres, und dennoch ist alles erdichtet – aber nichts erfunden.«

    Zur Fortsetzung meines Werkberichts rufe ich nun freilich nicht der Reihe nach die Titel der Kunstnovellen auf, die ich zumeist im Publikationsorgan von Freund Robert veröffentlichen konnte – ich weise lediglich hin auf meine Erzählung über Friedemann, den ältesten der Bachsöhne.
    Der erhielt Vorschusslorbeeren vom Vater, fand gebührende Anerkennung unter Kollegen, doch zuletzt, in Dresden: verarmt und vergessen.
Der alte Musikant
vegetierte dahin in einer Dachmansarde, dem Verhungern und Erfrieren nah – ein erst kränkelnder, dann kranker, schließlich schwerkranker Greis. Ich suchte ihn zuweilen auf, obwohl mir das Treppensteigen, erst recht über vier Stockwerke hinweg, bereits schwerfiel, im Jahr vor seinem Tode. Ich vollzog so etwas wie eine Krönung der ramponierten Erscheinung in desolater Dachwohnung, versuchte, das ein wenig feierlich zu gestalten, setzte ihm einen Kopfreif auf, wie er unter Indianern Südamerikas hohen Rang in der Stammesgemeinschaft signalisiert.
    Ich darf den Zeremonialhut rasch skizzieren: Langgestrecktes Baumwollnetz, in das Büschel von gelben, roten, schwarzen Federn dicht gesteckt sind; an zwei gezwirnten Faserschnüren ein langer Nackenschmuck mit Büscheln von überwiegend grüngelben Körperfedern des Ara; seitlich, an einer gezwirnten Baumwollschnur, das Präparat eines Honigsaugers.
    Ich bin in der Beschreibung penibel, um verständlich zu machen, weshalb sich Friedemann, sonst niedergedrückt, mit dem Kopfreif wie erhoben, ja beflügelt fühlte. Fast, so könnte ich sagen, fast hätte er abgehoben – bei all den Vogelfedern wäre das kein Wunder gewesen.
    Ich vermute, Sie möchten eine Zwischenfrage loswerden: Wie kam Antragsteller Lyser an ein derart rares Objekt? Recht einfach: Einer aus meinem Kreis (er zählt nicht zu den Freunden, eher zu den guten Bekannten) ist Präparator, vor allem von exotischen Vögeln. Immer wieder werden von Offizieren oder Reisenden auf einem der in Hamburg oder Cuxhaven einlaufenden Schiffe aus Südamerika oder dem Fernen Osten auch Vogelpräparate mitgebracht, die unter den klimatischen Unbilden der langen Schiffsreisen sichtlich gelitten haben, demnach dringend aufbereitet werden müssen. Ich habe dem Präparator gelegentlich zugeschaut bei der Tüftelarbeit und dabei so manch schöne, ja poetisch klingende Bezeichnung zu hören bekommen: Kahnschnabelreiher … Schlangenhalsvogel … Rosa Löffler … Schillertangare …! Dem Balg- und Federexperten habe ich eine originalgetreue Skizze des Zeremonialdekors vorgelegt, und er hat, dem einen oder anderen Vogelpräparat eine Feder entzupfend, das Wunderwerk ausgeführt.

    Da ich schon mal dabei bin, Authentisches zu vermitteln in vertrauensbildender Maßnahme, gleich ein weiteres Zitat aus einem meiner zahlreichen Briefe an Schumann – dies auch als Beleg dafür, dass mir selbst bedrückendste Lebensverhältnisse nicht den Humor rauben konnten. »Nun leb wohl, Du fettes Stück aus Epikurs Stall. – Beiläufig noch die Nachricht, dass ich Bräutigam bin und im Oktober Hochzeit mache.
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