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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns
Autoren: Dieter Kühn
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Grüne Blätter schillern kurzzeitig in allen Farben des Regenbogens, während farbige Blüten aschfahl werden. Dies in kaleidoskopischer Verwirbelung.
    Als weitere Gefahr im Urwald: meterlange Fäden, die von Bäumen hängen, hochgiftig wie Nesseln der Portugiesischen Galeere, der Staatsqualle. Das Nesselsekret brennt sich tief in die Haut ein; versucht man die Wirkung durch Wasser zu lindern, so wird der Schmerz nur gesteigert. Das Gift dieser Nesseln kann sogar lähmend wirken – dies so rasch, dass Gegenmaßnahmen sich als vergeblich erweisen.

    Was meinen zweiten Vater Friedrich betrifft, so verbindet uns ein zuletzt leider gemeinsam erfahrenes Leid. Ihm schien zuweilen, er hätte eine Zikade im Kopf, ja eine Doppelzikade: eine im rechten, eine im linken Ohr, hinter den Trommelfellen vor jedem Zugriff gesichert; dort sägen, sägen sie alles in Stücke, die Gehörgänge füllen sich mit akustischen Sägespänen … Sodann berichtete er mir vom Gong im Kopf, einem riesigen, sprich: chinesischen Gong, doch der Ton, der tiefe, satte Ton verschwingt nicht, schwingt nicht aus, hört einfach nicht auf zu schwingen … Und wiederum, wie er mir zuflüsterte, als ich ein Flüstern noch wahrnehmen konnte: unablässig knatternde Furzmaschinchen … Und wieder Zischen, Zischeln, das sich anderen Lauten verschließt, ein permanenter Zischverschlusslaut … Gelegentlich auch noch das Dröhnen eines Hammerwerks, Stampfwerks, das pocht, pocht, pocht besonders laut, wenn es draußen laut wird, bei einem Feuerwerk etwa.
    Ein offenbar chamäleonartiges Hörphantom, bei Vater Friedrich zwo leider auch noch verbunden mit stetigem Nachlassen des Hörvermögens. Ich vermute, hier hat sich etwas emphatisch übertragen: bereits in frühen Jahren begann auch meine akustische Wahrnehmung nachzulassen.

    Als Bub bin ich umhergeschippert auf diversen Weltmeeren, als jüngster Schiffsjunge an Bord. Damals schon war ich ein Fliegengewicht, bin über einssechzig nie hinausgekommen. Wer derart klein und leicht ist, den hätten widrige Winde ohne weiteres von einer der Wanten und Rahen wegblasen können, weit hinaus aufs offene Meer.
    Indes: zwar nahm ich nicht an Gewicht zu, doch gewann ich an Geschick. Als wetterfester Jungseemann umrundete ich das gefeierte Kap der Guten Hoffnung ebenso wie das gefürchtete Kap Hoorn. Mal setzte sich ein Eisvogel auf eine der Rahen, mal ein Kolibri; mal paddelten Eskimos auf das Schiff zu, mal Südsee-Insulaner; mal sprach ich mit einem dänischen Missionar über die Sprache der Eskimos, mal ließ ich mich von einem nackten, reich tätowierten Insulaner einweihen in die Sprache seines Stammes; mal liebte ich in einem Iglu ein Eskimomädchen auf erst hartgefrorenem, doch recht bald schon dampfendem Fell, mal brachte ich mit einem Südseemädchen eine Basthängematte zu heftigem Schaukeln zwischen kokosnussschleudernden Palmen.

    Ich darf allerdings nicht verschweigen, dass ich für meine Abenteuer, für die Erweiterung meines Horizonts einen zuweilen hohen Preis zahlen musste. Eine Zwischenlandung bei Dakar, Ladung wurde gelöscht, neue Ladung an Bord genommen, doch nach ein, zwei Tagen erkrankten mehrere Mann an der Ruhr, davon blieb ich nicht verschont. Der Kapitän wollte uns erst wieder an Bord lassen, wenn wir »ausgeschissen« hätten, und so kampierten wir in einem improvisierten Zelt (aus Segelplanen der Rüstkammer an Bord). Und ich lag, trotz der Hitze, zugedeckt mit Säcken, war schlapp, total schlapp. Und keiner, der sich um uns kümmerte, uns gelegentlich einen Schluck Wasser einflößte bei all dem Flüssigkeitsentzug.
    So stellten sich bald Halluzinationen ein, entwickelten sich urplötzlich mit einem einzigen Wort, zugleich einem Bild, das ich nicht vertreiben konnte, vertreiben wollte, half es mir doch, die Zeit zu verkürzen bis zur Genesung. Ich darf Ihnen, werte Herren, das Wort nennen, ohne mich zu dekuvrieren: es war »Glasaal«. Sie müssen sich das auf der Zunge zergehn, durch die Köpfe schweben lassen, nur so können Sie sich, ansatzweise, in meine Situation bei Dakar versetzen: Glas-Aal … mit diesem Wort das Bild eines schwebeleichten Körpers … Glas-Aal … nur noch angedeutet: Skelett und Kontur … Glas-Aal … bloß geahnter Körperumriss … Glas-Aal … schwebeleicht im Leerraum … Glas-Aal … Glas-Aal …
    Am dritten Tag sah ich draußen einen Seemann vorbeigehn mit einem Spießchen aufgereihter saurer Gurken. Ich stieß einen Schrei aus, so laut ich noch konnte. Der
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