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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
Autoren: Adam Johnson
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einmal, was ›Wie geht es Ihnen?‹ heißt.«
    » Ogenki desu ka «, sagte Gil.
    » Ogenki desu ka «, wiederholte Jun Do. » Ogenki desu ka .«
    »Sag’s so, als würdest du ›Wie geht es Ihnen, verehrter Mitbürger?‹ sagen. Ogenki desu ka «, instruierte ihn Offizier So. »Nicht wie ›Wie geht’s, ich pflück dich gleich von diesem beschissenen Strand.‹«
    Jun Do fragte: »So nennen Sie das, pflücken ?«
    »Ganz früher haben wir es mal so genannt.« Er setzte ein falsches Lächeln auf. »Sag’s freundlich, Schluss.«
    Jun Do erwiderte: »Warum schicken Sie nicht Gil? Schließlich kann er Japanisch.«
    Offizier So blickte wieder hinaus aufs Wasser. »Du weißt, warum du hier bist.«
    Gil fragte: »Warum ist er hier?«
    Offizier So antwortete: »Weil er im Dunkeln kämpfen kann.«
    Gil sah Jun Do an. »Das machst du? Ich meine, ist das dein Beruf?«, fragte er.
    »Ich bin Leiter eines Einfallkommandos«, antwortete Jun Do. »Meistens laufen wir nur im Dunkeln herum, aber es wird auch gekämpft, ja.«
    Gil sagte: »Und ich dachte, mein Job wäre beschissen gewesen.«
    »Was hast du gemacht?«, fragte Jun Do.
    »Bevor ich auf die Sprachschule gekommen bin?«, sagte Gil. »Landminen.«
    »Was, entschärfen?«
    »Schön wär’s gewesen«, sagte Gil.
    Sie näherten sich dem Ufer bis auf zwei-, dreihundert Meter und tuckerten dann an den Stränden der Präfektur Kagoshima entlang. Je mehr das Licht schwand, desto verschlungener spiegelte es sich in der Architektur jeder anrollenden Welle.
    Gil streckte den Arm aus. »Da«, sagte er. »Da ist jemand am Strand. Eine Frau.«
    Offizier So drosselte den Motor und nahm den Feldstecher, hielt ihn mit ruhiger Hand vor die Augen und drehte an der Feinjustierung, während seine buschigen, weißen Augenbrauen sich hoben und senkten. »Nein«, sagte er und reichte das Glas an Gil zurück. »Guck genauer hin, es sind zwei Frauen. Sie gehen nebeneinander.«
    Jun Do sagte: »Ich dachte, wir suchen nach einem Mann.«
    »Spielt keine Rolle«, antwortete der Alte. »Hauptsache, die Person ist allein.«
    »Was, wir sollen einfach irgendjemanden vom Strand pflücken?«
    Offizier So antwortete nicht. Eine Weile war außer dem Tuckern des Außenborders nichts zu hören. Dann sagte Offizier So: »Früher, zu meiner Zeit, da hatten wir eine ganze Division, Gelder, ein Schnellboot, eine Betäubungspistole. Wir haben beobachtet, infiltriert, minutiös ausgewählt. Familienväter haben wir nicht genommen, Kinder sowieso nicht. Ich bin mit lupenreinem Leumund pensioniert worden. Und guckt mich jetzt an. Wahrscheinlich bin ich der Letzte, der von damals noch übrig ist. Ich wette, ich bin der Einzige, den sie finden konnten, der sich mit diesem Geschäft auskennt.«
    Gil stellte auf etwas am Strand scharf. Er polierte das Glas, aber es war im Grunde viel zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Er gab den Fernstecher an Jun Do weiter. »Kannst du was sehen?«, fragte er.
    Als Jun Do das Fernglas ansetzte, machte er mit Mühe eine männliche Gestalt aus, die sich direkt am Wasser entlangbewegte – es war eigentlich nur ein schemenhafter Schatten vor noch dunklerem Hintergrund. Dann sah er eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Etwas raste am Strand entlang auf den Mann zu – es musste ein Hund sein, aber groß, so groß wie ein Wolf. Der Mann machte eine Geste, und der Hund rannte weg.
    Jun Do meldete Offizier So: »Da ist ein Mann. Er hat einen Hund.«
    Offizier So richtete sich auf und griff nach der Motorpinne. »Ist er allein?«
    Jun Do nickte.
    »Ist der Hund ein Akita?«
    Mit Hunderassen kannte Jun Do sich nicht aus. Einmal in der Woche hatten die Waisen eine Hundefarm in der Gegend saubergemacht. Hunde waren schmutzige Tiere, die einen bei jeder Gelegenheit anfielen – sogar über die Pfosten ihrerZwinger hatten sie sich hergemacht und sich mit ihren Reißzähnen durch das Holz gearbeitet. Mehr wollte Jun Do gar nicht über sie wissen.
    Offizier So sagte: »Hauptsache, das Viech wackelt mit dem Schwanz. Das ist das Einzige, was dich kümmern muss.«
    Gil sagte: »Die Japaner bringen ihren Hunden Kunststückchen bei. Du brauchst bloß ›Guter Hund, mach Sitz‹ zu sagen. Yoshi yoshi. Osuwari kawaii desu ne .«
    Jun Do sagte: »Hör auf mit dem Scheißjapanisch.«
    Er hätte gern gefragt, ob sie einen Plan hatten, aber Offizier So hielt einfach aufs Ufer zu. Zu Hause in Panmunjom war Jun Do der Anführer seiner Tunneleinheit, dafür bekam er Alkoholbezugsscheine und hatte einmal
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