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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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auszubrechen. Er eilte zum Henker, der neben dem Tisch in einer übelriechenden Lache von Erbrochenem lag.
    »Ich borg mir mal deinen Schlüssel aus, Meister Hans«, murmelte er und nestelte an dem Schlüsselbund, den der Henker am Gürtel befestigt hatte. Als sich der Knoten nicht gleich öffnen ließ, schnalzte er ungeduldig mit der Zunge und nahm den Dolch vom Tisch.
    Von oben war plötzlich ein lautes metallisches Hämmern zu hören. Dann trat Stille ein. Mit den feinen Sinnen eines Hetzjägers spürte Reinfried, dass sein Beutetier drauf und dran war, das Weite zu suchen, und er durchtrennte den dicken Knoten des Lederriemens mit der scharfen Klinge so mühelos wie einen Seidenfaden.
    Während er die verschiedenen Schlüssel am Türschloss ausprobierte, stieß er die wüstesten Flüche aus. Ständig lief ihm Blut in die Augen und verschleierte ihm den Blick. Der vierte Schlüssel passte endlich. Er nahm eine Fackel aus der Wandhalterung, steckte den Dolch in die Scheide an seinem Gürtel und verließ mit dem Schlüsselbund in der Hand den Kerker. Er wandte sich nach links zu der Kellertür, die direkt nach draußen führte. Dieses Mal hatte er mehr Glück. Schon der erste Schlüssel war der richtige. Reinfried bleckte triumphierend die Zähne und stürzte hinaus.
    *
    Plötzlich hörte sie noch etwas anderes. Es waren Schreie, schrille, hasserfüllte Schreie, die immer lauter wurden.
    Katharina hielt kurz inne und wandte sich um. Nicht weit von ihr entfernt gewahrte sie den flackernden Lichtschein einer Fackel. Reinfried!
    Wie ein Keulenschlag traf sie die entsetzliche Erkenntnis, dass sie noch längst nicht in Sicherheit war. Ihre Beine gaben unter ihr nach, sie strauchelte und wäre um ein Haar gestürzt. Verbissen kämpfte sie jedoch gegen ihre Schwäche an, richtete sich auf und rannte um ihr Leben.
    Unterdessen wurde sein Kreischen immer lauter. Deutlich konnte sie seine Beschimpfungen vernehmen. Er kam immer näher. Bald würde er bei ihr sein und sie töten.
    Aber nicht kampflos! Sie umklammerte den Griff der Axt und hastete weiter. Vor sich im dichten Schneetreiben erkannte sie plötzlich die vier mächtigen Pfeiler des Hinrichtungspodests. Sie schlüpfte rasch hinter einen der Holzpfosten und wappnete sich gegen seinen Angriff.
    Vielleicht würde er sie gar nicht bemerken und vorbeirennen. Hinter dem breiten Balken war sie jedenfalls nicht so leicht auszumachen …
    Durch den Sturm hallte plötzlich noch ein anderes Geräusch. Es hörte sich an wie Pferdegetrappel. Sollte sie vielleicht lauthals um Hilfe rufen?
    Auf einmal fiel ein Lichtschein auf den Schnee vor ihr. Reinfried stand mit der Fackel nur wenige Meter von ihr entfernt und kam bedrohlich auf sie zu. In der rechten Hand hielt er den Dolch. Er sah furchterregend aus. Ein Auge war zugeschwollen, das Lid war dunkel verfärbt, und an der Stirn hatte er blutende Wunden. Wangen und Kinn waren blutverschmiert.
    »Ich werde dich jetzt abstechen wie eine Schlachtsau!«, brüllte er wie von Sinnen.
    »Versuch das nur, dann spalte ich dir aber vorher noch den Schädel!« Katharina hielt drohend die Axt hoch.
    »Lass sofort die Axt fallen, du Miststück«, herrschte er sie an und machte einen weiteren Schritt auf sie zu.
    In Katharina stieg ein überwältigender Hass auf, sie holte aus und schlug mit der Axt nach ihm wie ein Berserker. Immer wieder sauste die Waffe pfeifend durch die Luft.
    Reinfried versuchte, in Deckung zu gehen, und wich den Axthieben aus, so gut es ging. Doch es gelang ihm nicht ganz. Die scharfe Schneide der Axt traf ihn am Arm und an der Schulter. Die Fackel war ihm entglitten und lag erlöschend im blutigen Schnee.
    Plötzlich duckte er sich, machte aus der Hocke einen gewaltigen Sprung auf sie zu und stieß wildes Kampfgeheul aus. Wäre Katharina nicht geistesgegenwärtig zur Seite gesprungen, hätte die Dolchklinge sie mitten ins Herz getroffen. Stattdessen drang ihr die Messerspitze in den Oberarm. Sie stieß einen durchdringenden Schmerzensschrei aus.
    Da gewahrte sie zu ihrer großen Verwunderung, wie Reinfried vor ihr langsam in sich zusammensackte. In seinem Blick lagen Erstaunen und Bestürzung. Dann strömte ein dunkler Schwall Blut aus seinem Mund, und seine Augen erstarrten. Er fiel vornüber und blieb regungslos liegen. Aus seinem Rücken ragte der Bolzen einer Armbrust.
    Reinfried war über die Schwelle getreten.

26
    Katharina war so sehr geschwächt, dass Florian und Anna sie bei Tagesanbruch ins Heiliggeistspital
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