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Das Geheimnis der toten Vögel

Das Geheimnis der toten Vögel

Titel: Das Geheimnis der toten Vögel
Autoren: Anna Jansson
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Gänsehaut, und die Brustwarzen waren deutlich durch den Stoff des weißen Badeanzugs zu sehen. Er trocknete ihr Haar, das vom Wasser um mehrere Schattierungen dunkler geworden war, er rieb und rieb, damit es wieder seine richtige Farbe annehmen würde. Er wollte, dass sie wie immer aussah, wie immer war. Als sie sich frei zu machen versuchte, küsste er sie auf die Nasenspitze, die das Einzige war, was aus dem Badehandtuch herausschaute.
     
    »Wie geht es Erik?«, fragte sie.
     
    »Gut, glaube ich. Er ist mit dem Schiff aufs Festland rüber. Ihm ist zum Glück nichts Schlimmes passiert. Weder ihm noch dem Motorrad, erstaunlicherweise.«
     
    Plötzlich hatte Angela ihre Arme um Ruben geschlungen, ihm ein Bein gestellt und ihn auf den Boden gedrückt. Sie waren wie kleine Kinder im Gras herumgerollt, und sie hatte versucht, ihn zu zwingen, wie ein Kaninchen Löwenzahnblätter zu essen.
     
    »Ich bin doch kein Vegetarier, ich will Fleisch«, hatte er geknurrt und sie in den Arm gebissen. Sie hatte gelacht, wie nur Angela lachen konnte, ein perlendes Kichern. Dann hatte sie sich quer auf seinen Bauch gesetzt. Er hatte vom Ellenbogen bis zur Schulter hinauf nach ihrem Arm geschnappt und sich dann hingesetzt. Da wurde sie plötzlich ernst.
     
    »Ruben, wirst du nie erwachsen?« Er hatte laut gelacht und weiter so getan, als würde er auch ihren anderen Arm aufessen, ohne zu begreifen, dass das Spiel vorbei war und dass sie jetzt etwas anderes erwartete. »Ich meine, wie denkst du über die Zukunft? Was willst du mit deinem Leben?«
     
    »Was ich mit meinem Leben will?«, hatte er etwas dümmlich gefragt. »Es ist doch gut, so wie es ist. Ich bin Tischler. Ich kann ein wenig maurern – ich kann mich mit denen hier versorgen.« Und er hatte ihr seine großen sehnigen Hände gezeigt.
     
    »Willst du nicht wie Erik studieren und etwas werden?«
     
    »Ich bin etwas. Ich bin Ruben.« Er hatte seine Wange an ihre weiche Haut gelegt und ihren Duft von Salz und Sommerwärme eingesogen. Hatte ihren Mund gesucht und eine unerwartete Offenheit gefunden.
     
    »Liebst du mich?«, hatte sie gefragt, als er die Augen öffnete und den Heiligenschein von Haaren um ihr Gesicht scheinen sah, so wie sie es seither immer getan hatten, wenn er sich an sie erinnerte.
     
    Er nickte.
     
    »Woher weißt du das? Woher weiß man, ob man jemanden wirklich liebt? Du kennst mich nicht. Du weißt nicht, wie ich wirklich bin.« Und dann hatte sie den Kopf an seinen Hals gedrückt. »Es ist nicht einmal sicher, dass man sich selbst kennt, Ruben. Begreifst du das nicht?«
     
     
    3
     
    Etwas später am Abend fuhr Ruben mit dem Auto zum Friedhof von Klinte, um Blumen auf die Gräber zu stellen. Normalerweise nahm er das Fahrrad, aber ihm taten die Knochen weh. Vielleicht würde es einen Wetterumschwung geben.
     
    Oben an der Mauer war J. N. Donner begraben gewesen, der aus einer Reedereifamilie stammte, den Besitzern von Klinteby. Aber er hatte keine Ruhe in der Erde des Friedhofs gefunden, und die Pferde hatten sich geweigert, vorüberzugehen, weshalb seine sterblichen Überreste schließlich in den schönen Park gebracht worden waren, der zu dem Hof gehörte. An der dunklen Nordseite des Friedhofs waren die Bürger zweiter Klasse begraben, die Selbstmörder und die Freikirchler. Die Mitglieder der Staatskirche und Verfechter der reinen Lehre, die an Altersschwäche und Krankheiten gestorben waren, durften an der Sonnenseite liegen. Großvater und Großmutter lagen also an der Nordseite, denn sie waren Baptisten gewesen. Ruben pflegte bei seinen Friedhofsbesuchen ein paar Worte mit Großvater Rune zu wechseln. Großmutter war immer ein wenig reservierter gewesen, aber das Gespräch mit Großvater Rune musste ja nicht aufhören, nur weil er jetzt im Jenseits war. Er war immer ein guter Zuhörer gewesen.
     
    »Die Benzinpreise sind wieder hochgegangen. Du würdest dich im Grab umdrehen, wenn du wüsstest, was das jetzt kostet – und trotzdem tankt man und fährt mit seinem Auto. Es bleibt einem ja nichts anderes übrig. Ich müsste mir eigentlich eine neue Hose kaufen, aber das kann ich mir nicht leisten. Weißt du, Großvater, wenn das so weitergeht, dann steht man beim Tanken irgendwann mit nacktem Hintern da, denn Benzin braucht man ja.«
     
    Das wohlwollende Schweigen war Antwort genug. Ruben stellte einen Strauß Natternköpfe in die spitze Vase und trottete hinüber zu dem Teil des Friedhofs, der unterhalb des Klintebergs lag. Da war
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