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Das Geheimnis der toten Vögel

Das Geheimnis der toten Vögel

Titel: Das Geheimnis der toten Vögel
Autoren: Anna Jansson
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Der Gedanke daran schmerzte immer noch.
     
    Auf dem Mittsommerfest bei den Jakobssons in Eksta hatte sie sich neben ihn gesetzt, hatte seinen Hemdkragen zurechtgerückt und ihren Arm unter den seinen geschoben, als sie vom Tisch aufstanden. Sie waren in einem immer erdrückenderen Schweigen durch den Garten spaziert. Der Augenblick war groß, und alles, was ihm zu sagen einfiel, während er mit der schönsten Frau Gotlands Arm in Arm unter den Linden ging, war, dass der Wollpreis dieses Jahr wahrscheinlich schlecht werden würde, dass aber die Kartoffeln gut seien. Sie hatte geduldig zugehört und dann auf die Laube gewiesen. Den Blick, den sie ihm in diesem Moment zugeworfen hatte, würde er niemals vergessen. In der grünen Blätterhöhle vor allen anderen verborgen, hatte er sie in den Arm genommen. Das Einverständnis war den ganzen Abend da gewesen, die Blicke, die man nicht übersehen konnte, und die leichte Berührung, sowie sie in seine Nähe kam.
     
    Der Erdbeerduft vom Falschen Jasmin war berauschend gewesen. Der dünne Stoff ihres Kleider spannte über dem Busen und über der weichen Rundung der Hüften – das hatte ihn verlegen und stumm gemacht, während ihm die Reaktionen in seinem eigenen Körper sehr bewusst gewesen waren. Eben war sie noch ein Kind, eine Spielkameradin gewesen. Angela mit dem Engelshaar, das sich wie gesponnenes Gold über ihre Schultern ergoss, mit den blaugrünen Augen und der leicht hervorstehenden Oberlippe, die er einfach küssen musste. In der Blätterhöhle fasste er Mut und tat es. Es war ein etwas missglückter Kuss geworden, die Zähne schabten aufeinander, und beide hatten sich etwas verschämt zurückgezogen.
     
    Er hatte versucht, etwas vorsichtiger zu Werk zu gehen, und gemerkt, wie sie weicher wurde. Ihre Hände hatten seinen Rücken gestreichelt und waren langsam an den Muskeln entlang unter das Hemd geglitten. Als ihre Fingernägel vorsichtig über seine Haut kratzten und ihr Atem schneller wurde, hatte er einen leichten Schauder verspürt, der sich in seinem Körper ausbreitete. Seine Hand hatte sich den Weg in ihre Unterhose gebahnt, und sie hatte sie in der Bewegung eingefangen und festgehalten. Wie sehr liebst du mich, Ruben? Sie hatte ihm direkt in die Augen geschaut, ohne dem Blick auszuweichen, und darauf gewartet, dass er das unmögliche Losungswort aussprach. Wie sehr willst du mich? Wie sehr liebst du mich? Und er hatte geantwortet, indem er sein pochendes Glied an ihren Bauch gedrückt hatte. Sie war zurückgeschreckt, und er hatte ihre Hand dorthin geführt, wo er sie sich wünschte, damit sie spüren konnte, dass er steif war, und begreifen, wie sehr er sie wollte, wie sehr er sich nach ihr gesehnt und an sie gedacht hatte.
     
    Hör auf! Ihr Körper war erstarrt. Er wollte sie berühren, aber sie entzog sich. Das Lächeln in ihrem Gesicht war erloschen. Als er immer noch nichts sagte, hatte sie ihn von sich weggeschubst und war zu den andern gelaufen. Er hatte sie eingeholt und versucht, sie von hinten zu umarmen. Sag doch was, du dummer Idiot, flüstere die Worte, die sie hören will. Aber die Worte hatten sich niemals eingefunden, damals nicht, und auch heute kaum, fünfzig Jahre später, als er darüber nachdachte, was er hätte sagen müssen, um den Lauf der ganzen Geschichte zu verändern. Wie sehr liebst du mich? Was antwortet man darauf? Liebe kann man doch nicht abwägen und messen. Sie hatte sich mit einem Zorn, den er nicht verstehen konnte, aus seiner Umarmung losgerissen und ihn dann den ganzen Mittsommerabend lang nicht mehr angeschaut. Und danach – war es zu spät gewesen.
     
    Ruben wandte das Gesicht mit den blassblauen Augen zum Abendhimmel und schniefte. In der letzten Zeit überfiel ihn oft die Rührung. Als Kind weint man, weil man traurig ist oder sich wehtut, und wenn man alt ist, weint man, weil man gerührt ist, wenn man »Geh aus, mein Herz« hört oder sich an eine alte Liebe erinnert. Er rückte die Hose im Schritt zurecht und lächelte in sich hinein. Auch der Körper erinnerte sich noch.
     
    Hoch über dem Taubenschlag kreiste ein Schwarm Tauben. Ruben blieb ganz still stehen und sah zu, wie sie auf dem Blechdach landeten und gurrend auf und ab spazierten, ehe sie sich zur Nacht hineinbegaben. Er erkannte die Tiere am Aussehen und wusste ihre Namen. General von Schneider, Mr. Pomoroy, Sir Toby, Mr. Winterbottom, Panik, Kakao und Evert Taube drängelten sich und pickten einander mit den Schnäbeln, als sie durch die
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