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Das Geheimnis der Maurin

Das Geheimnis der Maurin

Titel: Das Geheimnis der Maurin
Autoren: Lea Korte
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kräftigen Ruck konnte er Tamu Chalida endgültig entreißen.
    »Jaime, Raschid!«, gellte Zahra erneut, und endlich hatten die beiden sich freigekämpft und stürzten herbei. Der Kastilier stürmte zu dem Wagen, auf dessen Kutschbock bereits sein Kamerad saß, und schwang sich, Chalida unter den Arm geklemmt, zu ihm hoch. Der Kastilier knallte den beiden Zugpferden die Peitsche über. Als die geschundenen Tiere den Wagen anzogen und Raschid dadurch noch weiter zurückfiel, schrie Zahra erneut auf: »Nein, mein Kind, nicht mein Kind!«
    Hilflos sah sie, wie Raschid einen fliehenden Kastilier vom Pferd riss und Jaime versuchte, dem Wagen den Weg abzuschneiden. Tatsächlich gelang es ihm, das seitliche Gestänge zu fassen und sich am Kutschbock hochzuziehen. Während der eine Kastilier die Pferde weiter mit der Peitsche antrieb, trat der andere, der Chalida umklammerte, dem verzweifelten Vater gegen die Brust, doch Jaime ließ nicht los, sondern hob die Faust – und im nächsten Moment drang der Wagen donnernd in den Wald ein, so dass sich alles Weitere Zahras Blicken entzog.
    »Jaime, Chalida, oh nein, Chalida!«, schluchzte sie.
    Im nächsten Moment kam Tamu neben ihr stöhnend zu Bewusstsein und versuchte, sich aufzurichten. Reflexartig drückte Zahra ihr die Hand auf die Brust und hielt sie zurück.
    »Nein, Tamu, nicht, blieb liegen, du bist verletzt!«, rief sie, warf noch einen letzten, qualvollen Blick zum Wald, in dem nun auch ihr Bruder auf seinem eben erbeuteten Pferd verschwand, richtete eilig den Notverband um Yayahs Arm neu und drehte die alte Berberin behutsam auf ihre unverletzte Seite, um sich ihre Wunde anzusehen.
    »Chalida«, stöhnte Tamu. »Wo ist Chalida?«
    »Scht, Tamu, nicht reden, das strengt dich zu sehr an. Jaime und Raschid sind ihnen auf der Spur. Sie werden Chalida zurückbringen, ganz gewiss! Und du hast getan, was du nur konntest!«, versuchte Zahra die Alte zu beruhigen und biss sich auf die Lippen, um das Schluchzen zurückzudrängen. Während sie mit der einen Hand den Verband um Yayahs Wunde zusammenhielt, untersuchte sie mit der anderen ihre gute, alte Tamu, die Frau, die wie eine zweite Mutter für sie war – und schielte zwischendurch auch zu den vielen anderen Verletzten. Von allen Seiten drangen Stöhnen und Schmerzensschreie zu ihr.
    »Zainab, Deborah!«, schrie Zahra hilfesuchend in Richtung Wald, erhielt jedoch weder von ihrer jüngeren Schwester noch von ihrer Schwägerin Antwort. Sie nahm an, dass sie zu weit weggelaufen waren, um sie noch hören zu können. Auf einmal entdeckte sie eine der Dienerinnen, die, am ganzen Körper schlotternd, unter einem Busch kauerte. »Khadidscha, komm her, du musst mir helfen!«
    Statt sich in Bewegung zu setzen, wich das junge Mädchen noch tiefer ins Gebüsch zurück.
    »Reiß dich zusammen, wenn du mir nicht hilfst, verblutet Tamu! Beim Allmächtigen, ich habe doch nur zwei Hände!«
    Erst nach der dritten Aufforderung kroch das Mädchen zu ihr. Zahra befahl ihr, den Hidschab abzulegen und auf Tamus Wunde zu drücken. »Nun mach schon!«
    Als sie sah, wie zögerlich das Mädchen den Umhang zur Wunde führte, packte sie deren Hand und drückte sie mitsamt dem Stoff gegen die Blutung. Anschließend bettete sie ihren kleinen Sohn neben sich ins Gras und untersuchte seine Verletzung. Sie blutete noch immer, wenn auch nicht mehr so stark wie zuvor. Zahra war klar, dass sie genäht werden musste, aber so etwas hatte sie noch nie getan – nur Tamu ein paarmal dabei zugesehen. Sie schloss kurz die Augen. »Oh Gott, so hilf mir doch, hilf mir!«
    Als Nächstes hörte sie Jaime, der sie leise von hinten ansprach. Blitzartig fuhr Zahra zu ihm herum. Als sie sah, dass er ihre Tochter nicht bei sich hatte, schluchzte sie auf. »Nein, Jaime, nein!«
    »Ich werde sie zurückholen, verlass dich drauf«, keuchte Jaime. »Die Schweinehunde haben mich vom Kutschbock getreten, aber Raschid versucht, ein zweites Pferd einzufangen, und sobald er eines hat, jagen wir ihnen nach!« Er schnappte nach Luft und wies auf Yayah. »Was ist mit ihm? Und mit Tamu?«
    »Chalida …« Zahra konnte an nichts anderes denken.
    »Zahra, ich schwöre dir, dass ich sie dir zurückbringe, und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem verdammten Leben tue. Und jetzt sag, was mit Yayah ist!«
    »Yayah …« Zahra brach die Stimme, aber als sie zu ihrem kleinen, beängstigend bleichen Sohn sah, fasste sie sich.
    »Ich brauche meine Kräutertasche«, presste sie hervor.
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