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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin
Autoren: Johanna Marie Jakob
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Spule her und stoppte sie mit ihren spitzen Welpenzähnen.
    »Pass doch auf!«, fauchte Isabella und starrte ungläubig auf den gerissenen Faden in ihrer Hand. »Jetzt schau, was du angerichtet hast!« Wütend warf sie die Spindel nach dem Pferd. Auf dem rot bemalten Sattel leuchtete plötzlich ein frischer Kratzer.
    Beringar sprang auf und stampfte mit dem Fuß. »Das sage ich Vater, wenn er heimkommt! Dann kommst du ins Verlies! Und kriegst nur Brot und Wasser!«
    Isabella musste wider Willen lachen. »Und wenn ich
meinem
Vater sage, dass du mein Spinnrad umgeworfen hast? Was glaubst du, was dann passiert?«
    Beringar schob die Unterlippe vor und schielte ratlos zu Katharina hinüber. Die fummelte noch immer an Judiths Stickerei und tat so, als ginge sie der Streit nichts an.
    »Mein Vater ist der Graf von Lare!« All sein kindlicher Stolz lag in den Worten.
    »Und mein Vater«, Isabella beugte sich weit vor, um ihm ins Gesicht zu schauen, »ist der Kaiser!«
    »Na und? Graf ist viel, viel mehr als Kaiser!« Seine Stimme zitterte bereits leicht. »Viel mehr!«
    »Ist es nicht!«
    »Ist es doch!« Mit seinen kleinen Fäusten ging er auf Isabella los. Erschrocken sprang sie auf. Hinter ihr polterte der Schemel zu Boden. Die Hündin, die noch immer auf der Spule kaute, verkroch sich in ihre Kaminecke.
    »Schluss jetzt!« Katharina packte den kleinen Krieger am Kragen und zog ihn auf ihren Schoß. »Isabella hat recht, mein Junge. Herr Friedrich ist der Kaiser unseres Reiches, der höchste Herrscher überhaupt neben dem Papst. Sie ist unser Gast, und du wirst sie um Vergebung bitten und ihr helfen, das Rad wieder aufzustellen.«
    »Warum?« Seine kurzen Beine strampelten empört.
    »Du hast es umgeworfen, und du hast sie geschlagen. Das war nicht ritterlich. Nun geh schon.«
    Nicht ganz überzeugt schlich Beringar zu Isabella, die ihm versöhnlich über das blonde Haar fuhr.
    Sein Bruder Ludwig war zur selben Zeit mit dem Burgverwalter unterwegs. Sein Vater hatte ihm vor der Abreise augenzwinkernd die Aufsicht über die Burg anvertraut. Der Junge nahm seine Aufgabe sehr ernst und wich Eckardt nicht von der Seite. Lediglich die Schulstunden bei Pater Martinus durfte er nicht versäumen, doch die hatte er heute längst hinter sich.
    »Lass uns zuerst die Wache auf dem Bergfried besuchen, sie wird die Heimkehrer als Erste erblicken.« Eckardt wusste genau, dass er dem Jungen damit eine große Freude bereitete.
    Ludwig kletterte geschwind die steile Treppe hinauf, um vor Eckardt oben zu sein. Er mochte den Wind, der ungehindert über die schwindelnd hohen Mauern pfiff.
    Der Wächter auf dem obersten Podest erwartete ihn bereits. »Gut, dass Ihr kommt, junger Herr. Ich habe gerade etwas entdeckt, das will ich Euch zeigen.«
    Ludwig sprang an der Mauer hoch und stützte sich mit den Armen ab, so dass er über die Mauerbrüstung hinwegsehen konnte. Sie standen an der Südseite des Turms. Bei günstigem Wetter war von hier aus das Gebirge zu sehen, das Thüringens natürliche Grenze zu Baiern bildete. Heute war die Luft nicht klar genug, dichte Gewitterwolken von der Farbe reifer Pflaumen schoben sich von Westen her auf die Burg zu und verdrängten allmählich das Sonnenlicht. »Schaut dort, in Richtung Süden, was seht Ihr?«
    Ludwig strengte seine Augen an. Wo Süden war, das hatte ihm Eckardt längst gezeigt. Er kannte die Höhenzüge in jeder der vier Himmelsrichtungen. Im Norden drückten sich die Harzberge wie Brotlaibe aneinander, mittendrin der Blocksberg. Im Osten lag das Kyffhäusergebirge, sanft gezogen wie ein Pferderücken. Im Westen schließlich der Kamm der Hainleite, der mit dem gegenüberliegenden Ohmgebirge die Grafschaft Lare bewachte wie zwei auf der Lauer liegende Hunde. Dichter Laubwald zog sich über die Höhen der Hainleite, die Kronen wogten im aufkommenden Wind. Ludwigs Blick folgte dem ausgestreckten Arm der Turmwache. Dort, wo ein scharfer Schnitt zwischen den dunklen Bäumen einen Weg erkennen ließ, blitzte ab und zu die Farbe eines Banners hindurch, und jetzt hörte er auch ein Hörnersignal. Schwach behauptete es sich gegen das Grollen des herannahenden Gewitters.
    »Sie kommen«, flüsterte er, als könnte ein lautes Wort die Faszination seiner Entdeckung zerstören.
    Der Wachmann nickte ihm zu. »Ja, und Ihr dürft es verkünden!« Er reichte ihm sein Horn. »Zweimal kurz, einmal lang!«
    Hinter sich hörten sie den alten Eckardt die letzten Stufen heraufschnaufen.
    »Sie kommen!«, rief
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