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Das Geheimnis der 100 Pforten

Das Geheimnis der 100 Pforten

Titel: Das Geheimnis der 100 Pforten
Autoren: N D Wilson Dorothee Haentjes
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und tastete sich mit vom Schlaf etwas weichen Knien die Treppe hinab. Seine Tante war in der Küche.
    »Henry!«, rief sie und lächelte ihn an. Offenbar war sie noch immer beim Einmachen. Sie hatte das Haar über den Schläfen zurückgesteckt und ihr Gesicht leuchtete tomatenrot über einer verwaschenen grünen Schürze. Ein riesiger schwarzer Topf kochte auf dem Herd. »Wir wollten schon einen Such- und Hilfstrupp losschicken.« Sie lachte und setzte eine Maschine in Gang, die verschrumpelte Äpfel zerkleinerte. Henry starrte auf die große Menge von Schalen und Kerngehäusen und Unansehnlichem, die auf einer Seite der Maschine herausquoll. Dotty bemerkte seinen Blick und lachte wieder. »Sieh bloß nicht so auf meine Äpfel herab, Henry York!

    Die Würmer sind gut für den Geschmack. Hinter dir im Regal stehen Cornflakes, wenn du willst - was ich mir schon vorstellen kann, nachdem du deinen Winterschlaf beendet hast. Müslischalen stehen auf der Anrichte. Milch ist im Kühlschrank.«
    »Danke«, sagte Henry und begann, sich sein Frühstück zusammenzustellen. Er war Milch mit farblosen Rändern gewöhnt, Milch, die ein bisschen bläulich aussah. Diese Milch hier sah eher aus wie Sahne. Sie war dick und weiß, und als Henry sie in die Schale goss, umschloss sie die Cornflakes wie eine Hülle. Im Mund fühlte er, wie sie sich auf seine Zunge legte. Seine Zunge fand das nicht unangenehm.
    Dotty warf eine Schüssel zerkleinerter Apfelgehäuse in den Mülleimer und drehte sich wieder zu ihm um.
    »Also, Henry York«, sagte sie. »Wenn du fertig bist, wasch deine Müslischale ab. Dann kannst du, sofern du dich nicht wieder hinlegen und die nächste Mahlzeit verschlafen möchtest, zur Scheune hinübergehen. Dein Onkel will mit dir reden. Du bist heute ganz dir selbst überlassen. Die Mädchen sind bei einer Geburtstagsfeier in der Stadt.« Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und widmete sich wieder ihrer Arbeit.
    Henry leckte sich über die Zähne und verließ die Küche. Über Berge von Stiefeln in der Abstellkammer stapfte er zur Hintertür und nach draußen. Die Wiese,
die längst hätte gemäht werden müssen, reichte hinab bis an die Scheune. Jenseits der Scheune erstreckten sich bis an den Horizont flache Felder, die nur hier und da von Bewässerungsleitungen oder einem Feldweg durchzogen wurden. Sonst gab es nur noch den Himmel.
    Henry blieb stehen und betrachtete reglos die Landschaft. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie ihn begeistert. Stattdessen durchforschte er sein vom Schlaf wie von einem Spinnennetz umsponnenes Hirn und versuchte, Ordnung und System in seine Gedanken zu bringen, die so belegt waren wie seine Zähne und seine Zunge.
    So in sich versunken, ging Henry zur Scheune hinunter. Dort erwartete ihn eine neue Geduldsaufgabe. Der Metallriegel des Schiebetors klemmte und ging nicht auf. Als er schließlich doch nachgab und Henry ihn hochgestemmt hatte, wollte sich das große Holztor in seinen rostigen Führungen nicht bewegen lassen. Mit Zerren und Drücken gelang es Henry schließlich aber doch und er trat ein. Er war viel zu neugierig, was sich in der Scheune befinden mochte, als dass er sich an seinen rostverschmierten Händen gestört hätte.
    Im Inneren war die Scheune größer als erwartet. Zu beiden Seiten befanden sich alte, mit Brettern verkleidete Viehboxen. Eine Sense und drei Fahrräder hingen von den Querbalken herab.

    »Henry? Bist du das da unten?« Onkel Franks Stimme schien vom Zwischenboden über seinem Kopf zu kommen. »Beweg dich hier rauf. Gegenüber ist eine Leiter.«
    Henry lief zu einer Leiter, die an der Wand befestigt war und kerzengerade nach oben führte. Er setzte seinen Fuß auf die unterste Sprosse, ein morsches, verdrecktes Stück Holz, und folgte dem Lauf der Leiter mit den Augen - an zwei Heuböden vorbei bis unter die Balkendecke der Scheune. An Henrys Etagenbett hatte es auch eine Leiter gegeben. Und die war das Höchste, was er je erklommen hatte.
    »Henry?«, rief sein Onkel.
    »Ja, ich komme, Onkel Frank!«
    »Bis ganz nach oben. Ich bin direkt unter dem Dach.«
    Henry begann zu klettern. Wenn er fiel, würde dort, wo er landete, eine riesige Staubwolke entstehen. Ob Onkel Frank das überhaupt mitbekommen würde? Wie lange würde er dort liegen müssen? Was für einen Anblick würde er Frank vom Dachgeschoss aus bieten? Er schauderte.
    Während er am zweiten Heuboden vorbeikletterte, warf er einen Blick hinein. Neben einem Feld mit Hüpfkästchen
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