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Das Geheimnis der 100 Pforten

Das Geheimnis der 100 Pforten

Titel: Das Geheimnis der 100 Pforten
Autoren: N D Wilson Dorothee Haentjes
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Jahr frisch gestrichen wird, und zwar immer in grellen Swimmingpool-Farben. Graffiti gibt es überhaupt keine. Die Sprayer müssten auch erst mehr als zwanzig Meilen weit fahren, um überhaupt an Farbdosen heranzukommen.
    Hier und da verirrt sich ein Bus in die Stadt und hält an dem teilweise überdachten grellbunten Busbahnhof mit den angekokelten Toiletten. In Henry freut man sich immer, wenn der Bus kommt. Solche Ereignisse sind selten.
    An jenem Tag, dem Tag, an dem unsere Geschichte beginnt, gab es berechtigte Hoffnungen darauf, dass ein Bus halten würde. Familie Willis bekam Besuch von ihrem Neffen, und Mr. und Mrs. Willis standen am Bordstein und erwarteten seine Ankunft.
    Mrs. Willis war furchtbar nervös und stieg in einem fort vom Bordstein herunter und wieder hinauf, als wenn sie darauf wartete, dass dieser Bus sie zurück in ein Leben voll Grundschule und Gummitwist bringen
würde. Eigentlich hatte sie ihr bestes Kleid anziehen wollen - so wie ihre Mutter es auch getan hätte -, aber sie wusste nicht, welches ihrer Kleider ihr bestes war, oder wonach sie es hätte auswählen sollen. Es war sogar möglich, dass sie gar kein bestes Kleid besaß.
    Darum hatte sie es bei Jogginghose und T-Shirt belassen. Sie war in der Küche beim Einmachen gewesen, und trotz ihrer nachlässigen Kleidung sah sie nett aus. Ihr Gesicht war vom Dampf gerötet und fröhlich, und ihr braunes Haar, das normalerweise nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, trug sie nun offen. Wenn man heute nahe genug an sie herankam (wie es ja der Fall sein würde, wenn sie ihren Neffen in die Arme nahm), roch sie recht intensiv nach Pfirsich. Sie war von mittlerer Statur, in jeder Hinsicht, und wurde von ihren Freunden Dotty genannt, Dots von ihrem Ehemann und Mrs. Willis von allen anderen.
    Dotty war bei den Leuten beliebt. Es hieß, sie sei interessant. Das sagte man von ihrem Ehemann eher selten. Man fand, Mr. Willis sei mickrig, und das meinten die Leute nicht nur körperlich. Sie meinten mickrig auf jede Weise und in jeglicher Hinsicht. Dotty aber sah in ihrem Mann mehr als nur das Mickrige und sie liebte ihn. Darüber hinaus schien sich Frank Willis für nicht allzu viel zu interessieren.

    Mrs. Willis hörte plötzlich auf, den Bordstein hinaufund herunterzusteigen, und trat einen Schritt zurück. Auf der Schnellstraße glitzerte etwas. Der Bus kam. Sie stieß Frank an und deutete in die Richtung, doch er schien es nicht mitzubekommen.
    Der Henry, der im Bus saß, war ein ganz normaler zwölfjähriger Junge, der in einem langsamen Bus aus Boston saß und sich darauf vorbereitete, eine Tante und einen Onkel wiederzusehen, denen er das letzte Mal im Alter von vier Jahren begegnet war.
    Er freute sich nicht gerade auf das Wiedersehen mit Tante Dotty und Onkel Frank. Nicht weil er sie irgendwie nicht gemocht hätte. Doch bislang hatte er ein Leben geführt, in dem er gelernt hatte, sich auf gar nichts zu freuen.
    Der Bus hielt mit einem Schwall metallischer Grunzlaute. Henry ging nach vorn, verabschiedete sich von einer redseligen Mitreisenden und trat auf den Bürgersteig hinaus in eine atemberaubende Dieselwolke. Der Bus fuhr wieder an und der Gestank verzog sich. Plötzlich fühlte Henry, wie er heftig von jemandem umarmt wurde, der ziemlich weich war und dabei nicht allzu groß, und er roch, dass der Dieselgeruch einem Pfirsichduft gewichen war. Jetzt fasste ihn seine Tante an den Schultern. Ihr Lächeln verflog und sie wurde plötzlich ernst.

    »Das mit deinen Eltern tut uns beiden furchtbar leid«, sagte sie. Dabei blickte sie ihn so intensiv an, dass Henry fast nicht mehr wegsehen konnte. »Aber wir freuen uns, dass du zu uns kommst. Deine Cousinen sind schon ganz aufgeregt.«
    Jemand schlug Henry auf die Schulter. Er blickte auf.
    »Jawoll«, sagte Onkel Frank. Er sah dem Bus hinterher, der sich langsam entfernte. »Der Truck steht da drüben«, fügte er hinzu und machte eine Bewegung mit dem Kopf.
    Onkel Frank trug Henrys Seesack, während Tante Dotty, einen Arm fest um Henrys Schulter geschlungen, mit ihm zum Truck ging. Es war ein alter Truck. Vor Jahrzehnten mochte er mal ein Ford gewesen sein. Dann hatte man ihn als Handwerksprojekt einer Highschool-Klasse in Henry überlassen. Und schließlich hatte Onkel Frank ihn einem Spendensammler für das Schuljahresabschlussfest abgekauft. Der Truck hatte die Farbe von schmutzigem Braun, wie Schlamm, der sich normalerweise auf dem Grund eines Tümpels
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