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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen
Autoren: Ellis Peters
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einreden, sie habe Flügel bekommen und sie über die Linien des Königs hinweg nach Wallingford geflogen! Selbst wenn sie unbemerkt die Burg verlassen konnte, sie kann doch nicht ungesehen zu Fuß durch die Wälle der Belagerer gelaufen sein.«
    »Ach, genau das tat sie aber, Cadfael, sie tat beides! Sie stahl sich unbemerkt aus der Burg und gelangte mindestens durch einen Teil von Stephens Linien. Man vermutet, daß sie sich vom rückwärtigen Turm an einem Seil zum Fluß hinabließ, begleitet von zweien oder dreien ihrer Männer. Mehr können es nicht gewesen sein. Wahrscheinlich haben sie sich ganz in weiß gekleidet, um im Schnee unsichtbar zu bleiben, und der fallende Schnee verbarg sie. Sie haben auf dem Eis den Fluß überquert, sind die etwa sechs Meilen bis Abingdon gewandert, haben sich Pferde beschafft und sind nach Wallingford geritten.
    Ich muß schon sagen, Cadfael, sie ist eine außergewöhnliche Frau. Dem Vernehmen nach ist mit ihr nicht gut Kirschen essen, wenn sie auf der Höhe ist, aber bei Gott, ich kann verstehen, daß die Männer ihr folgen, wenn es mit ihr bergab geht.«
    »Dann ist sie also wieder mit FitzCount vereint«, sagte Cadfael. Er gab ein anerkennendes Schnaufen von sich. Vor knapp einem Monat hatte es noch den Anschein gehabt, als sei die Kaiserin ein für allemal von ihrem treuesten und ergebensten Verbündeten abgeschnitten, und als würden die beiden einander in dieser Welt nie wieder begegnen.
    Seit September war die Kaiserin in der Burg von Oxford belagert worden. Die Armeen des Königs hatten sie umzingelt, er hatte die Stadt eingenommen und brauchte nur noch abzuwarten, um ihre angeschlagene Garnison auszuhungern.
    Und nun, nach kühner Tat in kalter Nacht, hatte sie die Ketten abgestreift und war frei, um ihre Streitkräfte wieder aufzustellen und mit neuer Kraft weiterzukämpfen. Gewiß verstand es Stephen wie kein zweiter, einen sicheren Sieg doch noch in eine Niederlage zu verwandeln. Doch diese Eigenschaft war den beiden gemein. Vielleicht lag es ihnen im Blut, denn auch die Kaiserin hatte sich, als sie schon prächtig in Westminster saß und ihre Krönung unmittelbar bevorstand, den störrischen Bürgern ihrer Hauptstadt gegenüber so überheblich und barsch gegeben, daß diese sich voller Wut erhoben und sie wieder vertrieben hatten. Sobald einer der beiden, so schien es, ernstlich die Hand nach der Krone ausstreckte, bekam es das Schicksal mit der Angst, schlug sich auf die Seite des anderen und nahm dem ersten den Lohn der Mühen wieder weg.
    »Immerhin«, entgegnete Cadfael etwas gelassener, während er den brodelnden Topf auf den Rost neben der Kohlenpfanne stellte, wo er leise köcheln konnte, »immerhin ist Stephen sein Problem los. Er braucht sich nicht mehr zu sorgen, was er mit ihr anfangen soll.«
    »Das ist wahr«, stimmte Hugh wehmütig zu. »Er hätte nie den Mumm gehabt, sie in Ketten zu legen, wie sie es mit ihm tat, als sie ihn nach der Schlacht von Lincoln gefangennahm, und wie sich zeigte, braucht es mehr als Steinmauern, um sie zu halten. Ich glaube, er hat in all den Monaten nicht darüber nachgedacht, er hat nur bis zu dem Augenblick vorausgeblickt, in dem er sie zur Kapitulation zwingen konnte. Er ist von den Sorgen befreit, die mit dem Tag ihrer Gefangennahme begonnen hätten. Vielleicht gelingt es ihm, ihr jede Hoffnung zu nehmen, so daß sie sich gezwungen sieht, in die Normandie zurückzukehren. Aber wir kennen die Dame besser«, fügte er traurig hinzu. »Sie wird niemals aufgeben.«
    »Wie hat Stephen denn den Verlust aufgenommen?« fragte Cadfael neugierig.
    »Wie erwartet«, berichtete Hugh ebenso liebevoll wie resigniert. »Sobald die Kaiserin die Burg verlassen hatte, ergab sich die Burg von Oxford. Da sie aber fort war, hatte Stephen kein Interesse mehr an den Hungerleidern. Die meisten Männer hätten ihre Wut an der Garnison ausgelassen. Wie Ihr Euch sicher erinnern werdet, ließ er sich einmal hinreißen, hier in Shrewsbury auf diese Weise Rache zu nehmen. Gott weiß, es ist gegen seine Natur. Nie wieder! Gut möglich, daß es die Erinnerung an Shrewsbury war, die ihn Oxford schonen ließ. Er ließ sie unbeschadet ziehen unter der Bedingung, daß sie nach Hause zurückkehrten. Auf der Burg stationierte er eine starke und gut versorgte Garnison und brach dann mit seinem Bruder, dem Bischof, nach Winchester auf, um das Weihnachtsfest zu feiern. Er hat alle seine Sheriffs aus den Midlands zu sich gerufen, damit sie mit ihm feiern. Er
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