Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das fremde Gesicht

Titel: Das fremde Gesicht
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
anzufassen.
    Ihr Name war Meghan Collins.

    4
    Irgendwie brachte es Meghan fertig, Weickers Angebot gelassen zu akzeptieren. Die Kollegen witzelten darüber, wenn man sich zu sehr »Ach, wie toll«-erfreut über eine Beförderung zeige, würde Tom Weicker noch ins Grübeln geraten, ob er die richtige Wahl getroffen habe. Er wollte ehrgeizige Leute, die nicht zu bremsen waren und die fanden, jede Anerkennung, die man ihnen zollte, sei längst überfällig.
    Bemüht, möglichst sachlich zu wirken, zeigte sie ihm die Fax-Botschaft. Während er sie las, hob er die Augenbrauen.
    »Was soll das heißen?« fragte er. »Was ist das für ein
    ›Versehen‹? Wer ist Annie?«
    »Ich weiß nicht. Tom, ich war im Roosevelt Hospital, als das Opfer des Messerstechers gestern nacht eingeliefert wurde. Ist sie inzwischen identifiziert worden?«
    »Noch nicht. Was ist mit ihr?«
    »Ich glaube, Sie sollten etwas wissen«, sagte Meghan widerstrebend. »Sie sieht aus wie ich.«
    »Sie sieht Ihnen ähnlich?«
    »Sie könnte fast meine Doppelgängerin sein.«
    Toms Augen zogen sich zusammen. »Wollen Sie damit sagen, daß dieses Fax etwas mit dem Tod dieser Frau zu tun hat?«
    »Es ist wahrscheinlich bloß ein Zufall, aber ich dachte, ich sollte Sie’s wenigstens sehen lassen.«
    »Das ist auch gut so. Lassen Sie’s mir da. Ich finde heraus, wer in diesem Fall die Ermittlungen leitet, und lasse ihn einen Blick drauf werfen.«
    Für Meghan war es eine ausgesprochene Erleichterung, die Daten für ihre nächsten Berichte in der Nachrichtenredaktion abzuholen.

    Es war ein relativ zahmer Tag. Eine Pressekonferenz im Amt des Bürgermeisters, wo er seine Entscheidung für den neuen Polizeichef bekanntgab, ein verdächtiges Feuer, das ein Mietshaus im Stadtteil Washington Heights in Schutt und Asche gelegt hatte. Am Spätnachmittag sprach Meghan mit dem Büro des Gerichtsmediziners. Eine Zeichnung und eine Beschreibung der toten jungen Frau waren von der Vermißtenstelle ausgegeben worden. Ihre Fingerabdrücke waren nach Washington unterwegs zum Vergleich mit den Akten der Regierung und des Bundeskriminalamts. Sie war an einer einzigen tiefen Stichwunde in der Brust gestorben. Die inneren Blutungen waren langsam, aber massiv gewesen. Arme wie Beine hatten einige Jahre früher Brüche erlitten. Falls innerhalb von dreißig Tagen niemand Anspruch darauf erhob, würde man ihre Leiche auf dem Armenfriedhof in einem numerierten Grab beisetzen. Eine weitere »Jane Doe« –
    ein anonymes Opfer aus den Polizeiakten.
    Um sechs Uhr abends machte Meghan gerade Schluß mit der Arbeit. Wie stets seit dem Verschwinden ihres Vaters wollte sie das Wochenende bei ihrer Mutter verbringen. Für Sonntag nachmittag war ihr ein Bericht über eine Veranstaltung in der Manning Clinic zugeteilt worden, einem Institut für künstliche Fortpflanzung, das vierzig Minuten von ihrem Zuhause in Newtown entfernt lag. Die Klinik hielt ihr jährliches Treffen der Kinder ab, die aus der künstlichen Befruchtung, die man dort ausführte, hervorgegangen waren.

    Der für die Zuteilung zuständige Redakteur fing sie am Fahrstuhl ab. »Steve ist Ihr Kameramann am Sonntag bei der Manning Clinic. Ich hab’ ihm gesagt, er soll Sie dort um drei treffen.«
    »Okay.«
    Die Woche über benutzte Meghan einen Wagen des Senders. Heute morgen war sie mit ihrem eigenen Auto gekommen. Der Lift kam ruckend auf Höhe der Tiefgarage zum Stillstand. Sie lächelte, als Bernie sie entdeckte und sich sofort im Dauerlauf zur unteren Parkebene in Bewegung setzte. Er fuhr mit ihrem weißen Mustang vor und hielt ihr die Fahrertür auf. »Gibt’s was Neues von Ihrem Dad?« fragte er teilnahmsvoll.
    »Nein, aber danke für die Frage.«
    Er beugte sich vor, so daß sein Gesicht ihrem ganz nahe kam. »Meine Mutter und ich beten für ihn.«
    Was für ein netter Kerl! dachte Meghan, während sie den Wagen die Rampe hinauf zur Ausfahrt steuerte.

    5
    Catherines Haar sah stets so aus, als wäre sie sich gerade mit der Hand durchgefahren. Es war ein kurzer, lockiger Schopf, jetzt aschblond getönt, der den frischen Reiz ihres herzförmigen Gesichts noch hervorhob. Gelegentlich erinnerte Catherine Meghan daran, wie gut es sei, daß sie das energische Kinn ihres Vaters geerbt habe. Ansonsten sähe sie jetzt mit ihren dreiundfünfzig Jahren wie ein dahinwelkendes Engelspüppchen aus, ein Eindruck, der durch ihre Körpergröße noch verstärkt wurde. Kaum einen Meter fünfzig groß, nannte sie sich selbst den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher