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Das Fest

Titel: Das Fest
Autoren: John Grisham
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Mom. Hab dich schon fast eine Stunde lang nicht mehr gesehen. Wir lieben uns. Wir werden uns vermissen. Ich muss jetzt aufhören, Mom.
    Der Motor lief, obwohl Luther sich nicht daran erinnern konnte, ihn gestartet zu haben.
    »Du hast die weiße Kuvertüre vergessen?«, fragte Nora, die ihre Fassung inzwischen wiedererlangt hatte.
    »Nein, ich habe sie nicht vergessen. Es gab keine mehr.«
    »Hast du Rex danach gefragt?«
    »Wer ist Rex?«
    »Der Metzger.«
    »Nein, Nora, aus unerfindlichen Gründen habe ich nicht daran gedacht, den Metzger zu fragen, ob er vielleicht zwischen seinen Koteletts und Würsten weiße Kuvertüre versteckt hat.«
    Sie fummelte frustriert am Türgriff herum. »Ich brauche sie aber. Dich kann man wirklich nicht schicken.« Und fort war sie.
    »Hoffentlich trittst du in eine Pfütze mit Eiswasser«, brummte Luther wütend und murmelte noch ein paar andere unschöne Bemerkungen hinterdrein. Er richtete die Heizventilatoren nach unten, damit seine Füße auftauten, und beobachtete dann das Kommen und Gehen fettleibiger Menschen vor dem Schnellrestaurant. Auf den Straßen ringsherum stand der Verkehr so gut wie still.
    Luther dachte darüber nach, wie schön es wäre, Weihnachten einfach vergessen zu können. Einmal mit den Fingern schnippen, und es ist der zweite Januar. Kein Baum, kein Einkaufsstress, keine unnützen Geschenke, keine Trinkgelder, keine Berge von Einpackpapier, keine Staus und Menschenmengen, kein Stollen, kein Festschnaps und Festschinken, die ohnehin niemand haben will, kein »Rudolph« und kein »Frosty«, keine Büroparty, keine Geldverschwendung. Seine Liste wurde immer länger. Er kauerte auf dem Fahrersitz, wartete darauf, dass die Wärme seine Füße erreichte, und träumte lächelnd davon, alldem zu entkommen.
    Nora kehrte zurück und warf ihm eine kleine braune Tüte in den Schoß — vorsichtig genug, dass die Schokolade nicht zerbrach, jedoch heftig genug, dass Luther klar wurde, dass sie erfolgreich gewesen war, wo er versagt hatte. »Jeder weiß, dass man bei Chip's immer fragen muss«, stieß sie schroff hervor und legte mit ungeduldigem Rucken ihren Gurt an.
    »Seltsame Art von Absatzförderung«, sann Luther und legte den Rückwärtsgang ein. »Verstecken wir die Ware doch beim Metzger, machen wir sie rar, dann werden die Leute schon danach schreien. Ich bin sicher, dass der Preis für versteckte Ware sogar noch höher ist.«
    »Ach, sei doch still, Luther.«
    »Hast du nasse Füße?«
    »Nein. Du?«
    »Nein.«
    »Wieso fragst du dann?«
    »Nur so.«
    »Glaubst du, es geht alles gut?«
    »Sie sitzt im Flugzeug. Du hast gerade noch mit ihr gesprochen.«
    »Ich meine da draußen, im Dschungel.«
    »Hör auf, dir Sorgen zu machen, okay? Das Friedenskorps würde sie niemals irgendwohin schicken, wo es gefährlich ist.«
    »Es wird nicht so sein wie sonst.«
    »Was?«
    »Weihnachten.«
    Ganz gewiss nicht, hätte Luther beinahe erwidert. Und während er den Wagen durch den Verkehr lenkte, breitete sich ein seltsames Lächeln auf seinem Gesicht aus.
2
    M it mollig warmen Füßen in dicken Wollsocken ging Luther zu Bett und schlief schnell ein. Allerdings wachte er noch schneller wieder auf. Nora wanderte ruhelos durch das Haus. Sie betätigte im Bad die Toilettenspülung, knipste das Licht an und aus, schlurfte hinunter in die Küche, kochte sich einen Kräutertee und betrat wenig später Blairs Zimmer am Ende des Flurs, wo sie zweifellos die Wand anstarrte und sich schniefend fragte, wo die Zeit geblieben war. Dann kam sie zurück ins Bett, wälzte sich herum, zog ihm die Decke weg und tat ihr Bestes, Luther aufzuwecken. Sie hatte das Bedürfnis nach einem Gespräch, nach Zuspruch. Sie wollte von Luther hören, dass die Schrecken des peruanischen Dschungels Blair nichts anhaben konnten.
    Aber Luther blieb stocksteif liegen, rührte keinen Muskel und atmete so ruhig wie möglich. Wenn sie nun wieder davon anfingen, würde das womöglich die ganze Nacht dauern. Er schnarchte absichtlich, worauf sie sich langsam beruhigte.
    Kurz nach elf Uhr war alles still. Luther starrte in die Dunkelheit, während seine Füße immer heißer wurden. Als er vollkommen sicher war, dass sie schlief, glitt er vorsichtig aus dem Bett, schleuderte die dicken Socken in eine Ecke und schlich auf Zehenspitzen in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Danach eine Tasse entkoffeinierten Kaffee.
    Eine Stunde später saß er in seinem Arbeitszimmer im Keller, ein Ermittler auf der Suche nach
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