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Das Erbe in den Highlands

Titel: Das Erbe in den Highlands
Autoren: Lynn Kurland
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ihren Verstand Purzelbäume schlagen. Wie wäre es wohl, etwas zu besitzen, das mit so vielen Lagen Geschichte überzogen war, dass man die Gebrauchsspuren überhaupt nicht mehr entfernen konnte? Was sie auch gar nicht gewollt hätte. Nein, sie hätte dem Bauwerk und seiner Einrichtung wieder zum ursprünglichen Glanz verholfen, hätte Monat um Monat nach dem passenden Möbelstück für eine bestimmte Ecke oder dem perfekten Gobelin für eine Wand gesucht. Für eine Restaurierungsfachfrau wäre es der Traum schlechthin gewesen. Und wären ihre Gefühle darüber nicht hinausgegangen, wäre es ihr leichter gefallen, das Angebot aus-zuschlagen. Dummerweise hörte ihre Begeisterung nicht bei Steinen und Mörtel auf.
    In der Grundschule, als andere Mädchen mit Puppen spielten, hatte sie von Rittern und Drachen geträumt. Während der Highschool, wenn die anderen sich Gedanken über Make-up und erste Freunde machten, hatte sie von Drachen, Rittern und deren mittelalterlichen Behausungen geträumt. Auf dem College, als die anderen Mädchen versuchten, sich einen Mann zu angeln, oder Karrierepläne schmiedeten, war sie damit beschäftigt, mittelalterliche Domizile zu entwerfen, zu zeichnen und einzurichten, in die ihr Ritter nach einem harten Tagewerk des Drachentötens heimkehren konnte. Burgen hatten in ihrer Phantasie immer schon an erster Stelle gestanden, und natürlich durfte in keiner Burg der galante, gut aussehende Ritter fehlen, der einzig und allein sie liebte.
    Freud hätte seine helle Freude an ihren Tagträumen gehabt. Wieso sie ständig das Gefühl hatte, gerettet werden zu müssen, wollte sie gar nicht ergründen, aber es lag wohl hauptsächlich daran, dass die meisten Leute dazu neigten, auf ihr herumzutrampeln, und sie auch noch stillhielt und es zuließ.
    Nein, diesmal würde das nicht passieren. Wer wusste denn schon, was für ein herrschsüchtiger Verwandter sie dort drüben auf jener Insel erwartete, nur allzu bereit, seine Fußabdrücke auf dem Rücken ihrer Bluse zu hinterlassen? Am besten blieb sie genau da, wo sie jetzt war. Ihr Geschäft war ihr Leben. Sie hatte geschwitzt und geschuftet, um so weit zu kommen. Ihre Arbeit hatte ihr über den schmerzlichen Verlust ihrer Eltern hinweggeholfen, sie davon abgelenkt, über einen Liebhaber nachzudenken und sie nicht der Verzweiflung anheim fallen zu lassen, weil sie keine Kinder hatte.
    Ihre Mitarbeiter waren zu ihrer Familie geworden. Sie liebten sie, kümmerten sich um sie und vermittelten ihr ein
    Zugehörigkeitsgefühl, das sie nie gekannt hatte, nicht einmal in ihrer eigenen Familie. Ihre Arbeit beanspruchte ihre ganze Kraft. Die Liebe, die sie Kindern geschenkt hätte, steckte sie in die von ihr restaurierten Häuser. Kein Detail war zu klein oder zu unbedeutend. Altes Holz wurde unter ihren Händen wieder schön, verwitterter Stein kam unter Spachtelmasse zum Vorschein, Ziegelmauern tauchten unter Farbschichten auf. Häuser erblühten zu neuer Behaglichkeit. Dass sie dies für andere erschuf, spielte keine Rolle. Ihr machte es Spaß.
    Und kein Geld der Welt war es wert, das aufzugeben. Ihr Vater war von Geld besessen gewesen, ihre Mutter davon, dass er nicht genug verdiente. Mit fünfzig erlag er einem Herzinfarkt, und ihre Mutter folgte ihm kurz darauf ins Grab. Nachdem durch den Verkauf des Anwesens die Schulden getilgt waren, hatte der Anwalt Genevieve ihre Erbschaft ausgehändigt. Welche Ironie des Schicksals. Zwei Leben, vergeudet mit der Jagd nach Dingen, die nicht einmal ausgereicht hatten, ihr ein Erbe von mehr als fünfhundert Dollar zu hinterlassen. Den Scheck besaß sie noch immer. Er half ihr, einen klaren Blick zu bewahren.
    Nein, sie würde der Versuchung widerstehen. Sie stand auf und ging zur Eingangstür zurück. Nachdem sie das Licht angeknipst hatte, hob sie ihre Tasche auf, holte Mr McShanes Karte aus dem Geldbeutel und nahm sie mit in die Küche. Sie drehte den Wasserhahn auf und schaltete den Abfallzerkleinerer an.
    Und erstarrte. Also gut, das war wohl doch etwas übertrieben, sogar für ihre Verhältnisse. Möglicherweise konnte sie ein Besuchsrecht aushandeln. Sie stellte den Zerkleinerer ab und drehte das Wasser ab. Vielleicht einen Monat im Winter, wenn hier nichts los war.
    Sie zögerte.
    Dann zog sie die Schultern zurück. Diese Art von Zerstreuung hatte sie nicht nötig. Am besten kehrte sie dem
    Ganzen den Rücken, solange ihr Entschluss noch feststand. Unklug oder nicht, sie hatte ihre Gründe und wusste genau,
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