Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Azteken

Das Erbe der Azteken

Titel: Das Erbe der Azteken
Autoren: Clive Cussler
Vom Netzwerk:
Nahuatl; Schulen boten Kurse in Nahuatl und mexikanischer Geschichte an; religiöse Feiertage und traditionelle mexikanische Feste wurden mehrmals im Jahr gefeiert. Dennoch, sämtliche Umfragen zeigten, dass das mexikanische Volk sie als geschenkte Freizeit betrachteten – als Vorwand, um der Arbeit fernzubleiben oder sich zu betrinken oder in der Öffentlichkeit danebenzubenehmen. Gleichzeitig ging jedoch aus den Umfragen hervor, dass eine grundlegende Veränderung herbeizuführen wäre, wenn sie genug Zeit hätten, um daran zu arbeiten. Garza und die Partido Mexica Tenochca brauchten eine weitere Legislaturperiode, und um das zu erreichen, musste Garza den Senat, die Abgeordnetenkammer und den Obersten nationalen Gerichtshof unter seine Kontrolle bringen. Zurzeit beschränkte sich die Präsidentschaft auf eine einzige Amtszeit von sechs Jahren. Nicht lang genug, um zu erreichen, was Garza plante, und auch nicht lange genug, um zu erreichen, was Mexiko brauchte: ein Bewusstsein für seine eigene Geschichte, frei von Lügen, die Eroberung durch die Spanier und die blutigen Auseinandersetzungen betreffend.
    Garza verließ den Platz am Fenster, kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und drückte auf einen Knopf der Fernbedienung. Rollläden senkten sich vor den Fenstern herab und dämpften den grellen Schein der Mittagssonne. An der Decke flammten Einbauleuchten auf und illuminierten den dunkelroten Teppichboden und die wuchtigen Holzmöbel. Wie alles andere in seinem Leben spiegelte sein Büro seine Herkunft als Mexica wider. Wandteppiche und Gemälde, auf denen die Geschichte der Azteken dargestellt wurden, bedeckten die Zimmerwände. Dort hing ein vier Meter langer handgemalter Kodex, der die Gründung von Tenochtitlán auf einer sumpfigen Insel im Texcoco-See schilderte; an anderer Stelle zeigte ein Gemälde die aztekische Mondgöttin, Coyolxauhqui; über dem offenen Kamin waren auf einem deckenhohen Wandteppich Huitzilopochtli, der Kolibri des Südens, und Tezcatlipoca, der Rauchende Spiegel, zu sehen, wie sie gemeinsam über ihr Volk wachten. An der Wand über seinem Schreibtisch hing ein Ölgemälde von Chicomoztoc – dem Ort der Sieben Höhlen – jene legendäre Urheimat aller Nahuatl sprechenden Menschen.
    Von diesen raubte ihm jedoch nichts seinen nächtlichen Schlaf. Diese Ehre gebührte einem Artefakt, das in einer Ecke des Raumes stand. In einem Würfel aus anderthalb Zentimeter dickem Glas, der auf einem Kristallsockel stand, befand sich Quetzalcoatl, der gefiederte Schlangengott der Azteken. Natürlich war Quetzalcoatl überall zu betrachten – auf Töpfereien und Wandteppichen und in zahlreichen Kodizes –, aber diese Darstellung war einzigartig. Es war eine kleine Statue. Die einzige ihrer Art. Sie war zehn Zentimeter hoch und etwa siebzehn Zentimeter lang. Die Hände eines unbekannten Künstlers hatten dieses Meisterwerk vor einem Jahrtausend aus einem soliden Stück nahezu glasklarer Jade geschaffen.
    Garza ging um seinen Schreibtisch herum und ließ sich in einem Sessel vor dem Podest nieder. Angestrahlt von einer in der Decke versenkten Halogenlampe entstanden auf der polierten Oberfläche Quetzalcoatls hypnotisierende Farbwirbel, die in schnellem Wechsel die verschiedensten Formen bildeten. Garzas Blick wanderte über Quetzalcoatls Gefieder und Schuppen und verharrte auf dem restlichen Schwanz – genauer gesagt dort, wo der Schwanz eigentlich hätte sein müssen, korrigierte er sich. Anstatt, wie bei einer Schlange üblich, in einem spitzen Ende auszulaufen, verbreiterte sich die kleine Statue an dieser Stelle nämlich und endete mit einer schartigen vertikalen Kante, als wäre die kleine Figur von einem größeren Artefakt abgeschlagen worden. Zumindest war das die Theorie, auf die sich Garzas Historiker und Archäologen geeinigt hatten. Es war eine Theorie, die er um jeden Preis unterdrücken wollte.
    Diese Darstellung Quetzalcoatls, dieses Symbol der Partido Mexica Tenochca, war unvollständig. Garza wusste, was fehlte – mehr noch, er wusste, dass das fehlende Stück nicht im aztekischen Pantheon beheimatet war. Als Symbol der Mexica-Tenochca-Bewegung seit dem Tag, als Garza sie ins Leben gerufen hatte, war diese kleine Statue das Symbol für die Welle des Nationalismus, die ihn in sein Amt getragen hatte. Sollten Zweifel an seiner Echtheit aufkommen … Dies war eine Frage, über deren Beantwortung Garza nicht nachzudenken wagte. Die Vorstellung, dass ein im neunzehnten Jahrhundert
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher