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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies
Autoren: Patrick Ness
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gegen mich verrannt und musst jetzt endlich deinen Irrtum einsehen.«
    Seine Stimme wandert hinter Mr Collins.
    Seine Stimme …
    Einen Moment lang glaube ich, er formt seine Worte gar nicht mit den Lippen.
    Er spricht direkt in meinem Kopf.
    Aber sofort ist dieses Gefühl wieder verschwunden.
    »Meine Soldaten werden morgen Nachmittag hier eintreffen«, sagt er, immer noch auf und ab gehend. »Du, Todd Hewitt, wirst mir zuerst sagen, was ich von dir wissen will, und dann wirst du dein Wort halten und mir bei der Erschaffung einer neuen Gesellschaft helfen.«
    Er tritt wieder in den Lichtkegel, bleibt direkt vor mir stehen, die Hände noch immer auf dem Rücken, hält noch immer verborgen, was er vom Tisch heruntergenommen hat.
    »Aber zuerst, Todd«, fährt er fort, »zuerst möchte ich dich davon überzeugen, dass ich nicht dein Feind bin.«
    Ich bin so überrascht, dass ich meine Angst einen Moment lang vergesse.
    Nicht mein Feind?
    Nicht mein Feind?
    »Nein, Todd«, sagt er, »ich bin nicht dein Feind.«
    »Ihr seid ein Mörder«, sage ich, ohne nachzudenken.
    »Ich bin ein General der Armee«, sagt er. »Nicht mehr und nicht weniger.«
    Ich blicke ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Ihr habt Menschen getötet auf Eurem Marsch hierher. Ihr habt die Bewohner von Farbranch getötet.«
    »Im Krieg ereignen sich oft bedauerliche Dinge, aber der Krieg ist jetzt vorüber.«
    »Ich habe gesehen, wie Ihr sie erschossen habt«, sage ich, und ich hasse es, dass die Worte eines Mannes ohne Lärm so kraftvoll klingen, so unverrückbar wie ein Fels.
    »Mich hast du gesehen, Todd, mich?«
    In meinem Mund ist ein bitterer Geschmack, ich muss ihn hinunterschlucken. »Nein, aber Ihr wart es, der den Krieg angefangen hat!«
    »Der Krieg war nötig«, erwidert er. »Um einen kranken, sterbenden Planeten zu retten.«
    Mein Atem geht schneller, mein Verstand ist benebelt, mein Kopf schwerer als sonst. Auch mein Lärm wird dunkelrot. »Ihr habt Cillian ermordet.«
    »In der Tat sehr bedauerlich«, antwortet er. »Aus ihm wäre ein guter Soldat geworden.«
    »Ihr habt meine Mutter auf dem Gewissen«, sage ich mit belegter Stimme (halt die Klappe), und mein Lärm ist voller Wut und Trauer, meine Augen füllen sich mit Tränen (halt die Klappe, halt die Klappe, halt die Klappe). »Ihr habt alle Frauen in Prentisstown getötet.«
    »Glaubst du alles, was man dir erzählt, Todd?«
    Plötzlich herrscht Stille, wirkliche Stille, denn sogar mein Lärm sucht eine Antwort auf diese Frage.
    »Ich will keine Frauen töten«, fügt er hinzu. »Ich habe das nie gewollt.«
    »Ja, aber Ihr habt …«
    »Wir haben jetzt keine Zeit für eine Geschichtsstunde.«
    »Ihr seid ein Lügner!«
    »Und du meinst, du wüsstest alles, nicht wahr?«, sagt er mit eisiger Stimme. Er tritt zurück, und Mr Collins schlägt mir derart hart gegen den Kopf, dass ich beinahe umkippe und auf den Boden falle.
    »Ihr seid ein Lügner und ein Mörder!«, schreie ich. Von dem Schlag klingen mir die Ohren.
    Mr Collins verpasst mir noch einen Hieb wie mit einem Holzscheit, diesmal auf die andere Seite des Kopfes.
    »Ich bin nicht dein Feind, Todd«, wiederholt der Bürgermeister. »Bitte zwing mich nicht, dir solche Dinge anzutun.«
    Mein Kopf schmerzt so sehr, dass ich nicht darauf antworte. Ich kann nicht antworten. Ich kann nicht sagen, was er von mir hören will. Und ich kann auch sonst nichts sagen, ohne dass ich windelweich geprügelt werde.
    Das ist das Ende. Das muss das Ende sein. Sie werden mich nicht am Leben lassen. Sie werden sie nicht am Leben lassen.
    Das also ist das Ende.
    »Ich hoffe, das ist es«, sagt der Bürgermeister, und seine Stimme klingt jetzt so, als sagte er die Wahrheit. »Ich hoffe, du erzählst mir das, was ich wissen will, und wir können mit all dem hier aufhören.«
    Und dann sagt er …
    Dann sagt er …
    Er sagt: »Bitte.«
    Ich blicke auf, blinzle gegen die Schwellung an, die sich allmählich um meine Augen herum bildet.
    Seine Miene ist besorgt, sein Blick beinahe flehend.
    Was zum Teufel soll das? Was, verdammt noch mal, hat das zu bedeuten?
    Und ich höre wieder dieses Summen in meinem Kopf.
    Es ist nicht wie der normale Lärm eines anderen Mannes.
    Es sagt Bitte mit einer Stimme wie der meinen.
    Es sagt Bitte, als würde ich selbst dieses Wort sprechen.
    Es bedrängt mich …
    … tief in meinem Inneren.
    Es ist, als wollte ich es selbst …
    Bitte.
    »Was du zu wissen glaubst, Todd«, sagt der Bürgermeister und seine Stimme summt
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