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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies
Autoren: Patrick Ness
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Ich höre, wie er mit den Sachen hantiert, die auf dem Tisch liegen, höre das Kratzen von Metall auf Holz.
    »Bitte, rettet sie«, äfft er meine Worte nach. »Ich werde alles tun, was Ihr verlangt.«
    »Ich habe keine Angst vor Euch«, sage ich, obwohl mein Lärm etwas anderes hinausschreit, sobald ich an die Sachen denke, die auf dem Tisch liegen könnten. »Ich habe keine Angst zu sterben.«
    Aber ich frage mich, ob das wirklich stimmt.
    Er dreht sich wieder um, verbirgt aber die Hände hinter dem Rücken, sodass ich nicht sehen kann, was er vom Tisch genommen hat. »Weil du ein Mann bist, Todd? Weil ein Mann keine Angst hat zu sterben?«
    »Ja«, antworte ich. »Weil ich ein Mann bin.«
    Der Bürgermeister runzelt die Stirn. »Wenn ich nicht irre, sind es noch vierzehn Tage bis zu deinem Geburtstag.«
    »Das ist nur eine Zahl.« Ich atme schwer, mein Magen hüpft beim Reden auf und ab. »Das sagt rein gar nichts. Wenn ich in der alten Welt leben würde, dann wäre ich …«
    »Aber du bist nicht in der alten Welt, Junge«, fällt Mr Collins mir ins Wort.
    »Ich glaube, er meint etwas anderes«, sagt der Bürgermeister, ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Nicht wahr, Todd?«
    Ich blicke von einem zum anderen. »Ich habe getötet«, sage ich. »Ich habe getötet.«
    »Ja, ich glaube dir, dass du getötet hast«, erwidert der Bürgermeister. »Ich sehe, wie sehr du dich deswegen schämst. Aber die Frage ist doch, wen. Wen hast du getötet?«
    Er tritt wieder in den Schatten, heraus aus dem Lichtkegel, und er verbirgt, was immer er vom Tisch aufgehoben hat, noch immer hinter seinem Rücken, während er sich nun hinter mich stellt. »Oder sollte ich lieber fragen, was?«
    »Ich habe Aaron getötet«, sage ich und versuche vergeblich, ihm mit meinen Blicken zu folgen.
    »Ach, das hast du?« Es ist so entsetzlich, dass ich seinen Gedankenlärm nicht hören kann. Das ist etwas ganz anderes als die Stille, die von einem Mädchen ausgeht. Die Stille eines Mädchens ist immer lebendig, sie atmet, sie hat eine Gestalt inmitten des fremden Lärms, der sie umdröhnt.
    (Ich denke an sie, ich denke an ihre Stille, daran, wie weh mir diese Stille tat.)
    (Ich denke nicht an ihren Namen.)
    Was immer der Bürgermeister auch getan haben mag, egal wie er es geschafft hat, dass er und Mr Collins keinen Lärm mehr haben, von ihm geht etwas Totes aus, formlos, tonlos und starr. Bürgermeister Prentiss ist undurchdringlich wie ein Stein, wie eine Wand, wie eine auf ewig uneinnehmbare Festung. Ich schätze, er kann in meinem Lärm lesen, aber wie soll man das wissen bei einem Mann, der sich selbst zu Stein hat werden lassen?
    Ich zeige ihm, was er sehen will. Ich rücke ein Bild von der Kirche unter dem Wasserfall in meinem Lärm ganz weit nach vorn. Ich lasse ihn den Kampf mit Aaron sehen, so wie er sich wirklich zugetragen hat, das Ringen, das Blut, ich denke daran, wie ich gegen ihn gekämpft und ihn zu Boden geschlagen habe, wie ich mein Messer nahm.
    Ich zeige ihm, wie ich Aaron in den Rücken gestochen habe.
    »Ich erkenne darin Wahrheit«, sagt der Bürgermeister. »Aber ist es auch die ganze Wahrheit?«
    »Die reine Wahrheit«, antworte ich und lasse meinen Lärm so sehr anschwellen, dass er nichts anderes mehr darin hören kann. »Die reine Wahrheit.«
    Er klingt noch immer belustigt, als er sagt: »Ich glaube, du lügst mich an, Todd.«
    »Das tue ich nicht!«, schreie ich ihn an. »Ich habe getan, was Aaron wollte! Ich habe ihn ermordet! Ich bin zum Mann geworden nach den Gesetzen, die Ihr geschaffen habt, und wenn Ihr es befehlt, schließe ich mich Eurer Armee an. Ich werde tun, was Ihr von mir verlangt, aber sagt mir, was Ihr mit ihr gemacht habt!«
    Er scheint Mr Collins von hinten ein Zeichen gegeben zu haben, denn der tritt auf mich zu, holt weit mit der Faust aus und …
    (Ich kann nicht anders.)
    Ich zucke erschrocken zurück und reiße dabei den Stuhl ein Stück zur Seite.
    (Halt die Klappe.)
    Aber es kommt kein Schlag.
    »Gut«, sagt der Bürgermeister und aus seiner Stimme spricht Zufriedenheit. »Gut.« Er beginnt wieder, im Dunkeln auf und ab zu gehen. »Ich möchte dir ein paar Dinge erklären, Todd«, fährt er fort. »Du befindest dich in unserem Hauptstützpunkt, früher war es die Kathedrale von Haven, seit gestern ist hier der Palast des Präsidenten. Ich habe dich hierher zu mir nach Hause gebracht, weil ich hoffte, dir helfen zu können. Du hast dich in einen aussichtslosen Kampf
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