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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies
Autoren: Patrick Ness
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als einen regulären Feind bekämpfen. Zweitens: Sie raubt denen, die nicht kämpfen, jegliche Sicherheit, sie erweckt den Eindruck, dass sie unschlagbar ist, und auf diese Weise kann sie alle umso leichter beherrschen.« Er zuckt die Schultern. »Für Menschen wie sie ist alles ein Krieg.«
    »Für Menschen wie Euch«, entgegne ich.
    »Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du wirst einen Tyrannen gegen einen anderen eintauschen.«
    »Ich werde gar nichts eintauschen. Und ich habe Euch gesagt, dass Ihr den Mund halten sollt.«
    Ich richte mein Gewehr auf ihn und gehe zu Angharrad hinüber, die zwischen Schutt eingezwängt dasteht und uns beobachtet.
    Todd , denkt das Pferd. Durst .
    »Steht der Wassertrog noch draußen?«, frage ich den Bürgermeister. »Oder ist er auch in die Luft geflogen?«
    »Er ist in die Luft geflogen«, sagt der Bürgermeister. »Aber um die Ecke, hinter der Kathedrale, ist noch einer, dort, wo mein Pferd angebunden ist.«
    Morpeth. Ich denke den Namen seines Pferdes und ein Gefühl steigt in Angharrad auf.
    Morpeth , denkt es. Unterwirf dich .
    »Braves Mädchen«, sage ich und streiche ihr über die Nase. »Da kannst du Gift darauf nehmen, dass Morpeth sich ergeben wird.«
    Sie stupst mich ein-, zweimal aus Spaß an, dann trabt sie zur Rückseite der Kathedrale.
    Wumm! Wieder ist eine laute Detonation zu hören. Wie ein Blitz durchzuckt mich die Sorge um Viola. Ich frage mich, wie weit sie wohl schon gekommen ist. Sie muss schon in der Nähe der Antwort sein, sie muss schon …
    Ich höre einen kleinen Fetzen Lärm vom Bürgermeister.
    Ich spanne mein Gewehr.
    »Ich habe Euch gewarnt, ihr solltet es also besser gar nicht erst versuchen.«
    »Weißt du, Todd«, redet er einfach weiter, als führten wir einen netten Plausch beim Essen, »dich mit dem Lärm anzugreifen war einfach. Man muss nur alle seine Sinne anspannen und dann so fest wie möglich zuschlagen. Natürlich muss man sich konzentrieren, sehr konzentrieren, aber wenn man die Methode erst einmal beherrscht, dann kann man sie einsetzen, wann und wie man will.« Er spuckt das Blut aus, das sich in seinem Mund gesammelt hat. »Wie man an dir und Viola sehr schön sehen konnte.«
    »Nehmt ihren Namen nicht in den Mund.«
    »Aber die zweite Sache«, redet er weiter, »ist schon schwieriger. Den Lärm eines anderen zu kontrollieren ist eine verzwickte Angelegenheit. Es ist, als müsste man tausend verschiedene Hebel auf einmal bedienen. Bei einigen Menschen, bei schlichten Gemütern, mag es etwas leichter sein. Erstaunlich einfach ist es, wenn man eine Menschenmasse vor sich hat, aber es hat mich Jahre der Übung gekostet, bis ich den Lärm als Werkzeug einsetzen konnte, und erst seit Kurzem habe ich Erfolg damit.«
    Ich denke einen Augenblick darüber nach. »Bürgermeister Ledger.«
    »Nein, nein«, erwidert er amüsiert. »Bürgermeister Ledger hat sich mir geradezu aufgedrängt. Traue niemals einem Politiker. Diese Leute habe keine innere Mitte, deshalb darf man ihnen auch nichts glauben. Er kam zu mir, erzählte mir das, was du geträumt und gesagt hast. Nein, das hat nichts mit Kontrolle zu tun, das war lediglich Schwäche.«
    Ich stoße einen Seufzer aus. »Warum könnt Ihr nicht einfach den Mund halten?«
    »Ich will damit nur sagen«, spricht er unbeirrt weiter, »dass es mir erst heute gelungen ist, dich zu beeinflussen. Erst heute konnte ich dich dazu bringen, das zu tun, was ich wollte.« Er sieht mich an, wie um sich zu vergewissern, dass ich seine Worte verstanden habe. »Erst heute.«
    Wumm! , dröhnt es in der Ferne. Und wieder hat die Antwort ohne vernünftigen Grund etwas zerstört. Es ist schon zu dunkel, um die Soldaten zu erkennen, aber inzwischen marschieren sie sicher schon in die Stadt ein und kommen geradewegs auf uns zu.
    »Ich weiß, was Ihr sagen wollt«, sage ich. »Ich weiß, was ich getan habe.«
    »Das alles warst du selbst, Todd. Die Spackle. Die Frauen. Das alles hast du selbst getan. Es war gar nicht nötig, dass jemand Zwang auf dich ausübte.«
    »Ich weiß, was ich getan habe«, wiederhole ich leise und in meinen Lärm mischt sich ein warnendes Zischen.
    »Das Angebot gilt noch«, sagt der Bürgermeister, auch er spricht leise. »Ich meine es ernst. Du bist stark. Ich könnte dir beibringen, diese Stärke zu nutzen. Wir beide könnten gemeinsam über dieses Land herrschen.«
    ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH, höre ich ihn sagen. »Das ist der Kern von allem«, sagt er.
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