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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies
Autoren: Patrick Ness
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bewegt sich etwas, ein Schatten huscht vorbei, aber es ist nur ein Hund. Ich höre, wie er denkt: Nach Hause, nach Hause, nach Hause.
    Hunde haben andere Sorgen als Menschen.
    Hunde können immer glücklich sein.
    Ich atme eine Weile tief durch, um die Beklemmung in meiner Brust zu vertreiben und die Tränen zu unterdrücken.
    Und ich brauche eine Weile, bis ich nicht mehr an meinen eigenen Hund denken muss.
    Als ich wieder nach draußen schauen kann, sehe ich etwas, was ganz und gar nicht wie ein Hund aussieht.
    Er hat seinen Hut tief in die Stirn geschoben und reitet gemächlich über den Hauptplatz. Der Hufschlag hallt auf den Pflastersteinen wider, ich kann das Getrappel hören, obwohl das Summen von Bürgermeister Ledger inzwischen so zur Plage geworden ist, dass ich nicht weiß, wie ich jemals Schlaf finden soll. Aber da draußen höre ich ihn.
    Den Lärm.
    Mitten in der Stille einer Stadt, die darauf wartet, was da kommt, höre ich den Lärm des Mannes.
    Und er hört meinen.
    Todd Hewitt? , denkt er.
    Und ich kann sogar sein Grinsen hören.
    Hab was gefunden, Todd , sagt er quer über den Platz bis zum Turm hinauf, wo er im Mondlicht nach mir sucht. Hab was gefunden, was dir gehört.
    Ich sage nichts. Ich denke nichts.
    Ich beobachte ihn nur, wie er hinter sich greift und etwas in die Luft hält.
    Sogar aus dieser Entfernung, sogar im Mondlicht weiß ich, was es ist.
    Das Buch meiner Mutter.
    Davy Prentiss hat das Buch meiner Mutter.

2
    Im Gleichschritt, marsch
    [TODD]
    Früh am nächsten Morgen wird geräuschvoll und eilig ein Podium mit einem Mikrofon direkt am Fuß des Glockenturms errichtet und im Verlauf des Vormittags versammeln sich die Männer von New Prentisstown davor.
    »Warum machen die das?«, frage ich und blicke auf die Menge hinunter.
    »Was glaubst du wohl?«, fragt Bürgermeister Ledger zurück, der in seiner dunklen Ecke sitzt und sich die Schläfen reibt, während sein Lärm unaufhörlich an meinen Nerven sägt, glühend und schrill. »Natürlich um den neuen Führer gebührend zu begrüßen.«
    Die Männer sind schweigsam, ihre Gesichter blass und finster, aber wie soll man wissen, was sie denken, wenn man ihren Lärm nicht hören kann? Sie sind sauberer als die Männer in der Stadt, aus der ich komme, ihre Haare sind kürzer, ihre Bärte rasiert, und sie sind besser gekleidet. Ziemlich viele von ihnen sind wohlgenährt und weich wie Bürgermeister Ledger.
    Es muss ein angenehmer Ort gewesen sein, dieses Haven, ein Ort, an dem die Männer nicht jeden Tag ums nackte Überleben kämpfen mussten.
    Vielleicht zu angenehm und genau das ist ihr Problem.
    Bürgermeister Ledger brummt und schnaubt hinter mir, aber er schweigt.
    Die Leute von Bürgermeister Prentiss haben sich zu Pferd an den wichtigsten Stellen des Platzes postiert, mit schussbereiten Gewehren, damit keiner einen falschen Schritt tut. Ich sehe Mr Tate und Mr Morgan und Mr O’Hare, Männer, mit denen ich groß geworden bin, Männer, die ich jeden Tag auf ihren Farmen arbeiten sah, Männer, die ganz normale Männer waren, bis mit einem Mal etwas anderes aus ihnen geworden ist.
    Von Davy Prentiss ist nichts zu sehen und bei dem Gedanken an ihn rumort mein Lärm.
    Er muss wieder vom Hügel heruntergekommen sein, keine Ahnung, wohin sein Pferd ihn geschleift hat, und dann hat er meinen Rucksack gefunden. Ein Bündel mit zerfetzter Kleidung war alles, was sich noch darin befand. Und das Buch.
    Das Buch meiner Mutter.
    Die Worte, die meine Mutter mir mit auf den Weg gegeben hat.
    Sie hat das Buch in der Zeit geschrieben, als ich geboren wurde. Das war kurz vor ihrem Tod.
    Kurz bevor sie ermordet wurde.
    Mein wunderwunderhübscher Junge, mein prächtiger Sohn. Du, der etwas Gutes aus seinem Leben machen kann.
    Worte, die Viola vorgelesen hat, weil ich selbst nicht …
    Und jetzt hat dieser verdammte Davy Prentiss …
    »Könntest du bitte«, stößt Bürgermeister Ledger zwischen den Zähnen hervor, »könntest du wenigstens versuchen …« Er schaut mich entschuldigend an. »Es tut mir leid«, sagt er zum millionsten Mal, seit Mr Collins uns aufgeweckt und das Frühstück gebracht hat.
    Ehe ich etwas sagen kann, zieht etwas so stark an meinem Herzen, dass mir vor Erstaunen der Atem stockt.
    Ich schaue hinaus.
    Die Frauen von New Prentisstown kommen.
    Sie kommen von weiter her als die Männer, in Gruppen gehen sie durch die Seitenstraßen und halten sich fern von der Männerschar, denn die berittene Patrouille des Bürgermeisters
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