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Das Dunkel der Lagune

Das Dunkel der Lagune

Titel: Das Dunkel der Lagune
Autoren: Jack Higgins
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Granatsplitter. Sieht schlimmer aus, als es war.«
      Sie bandagierte vorsichtig seinen Arm und fragte: »Welcher Krieg – Korea?«
      Er schüttelte den Kopf. »Nein, mein Krieg liegt schon lange Zeit zurück, Kleines. Tausend Jahre mindestens.«
      Sie befestigte das Ende der Mullbinde mit Heftpflaster und blickte unvermittelt zu ihm auf. Sein spitzes Kinn war mit dunklen Bartstoppeln bedeckt, die seine hohlen Wangen und die tief liegenden, melancholischen Augen noch stärker hervortreten ließen. Er sah kurz zu ihr hinunter und deutete auf seinen bandagierten Arm. »Das hast du bestimmt schon mal gemacht.«
      Sie nickte. »Ein paar Mal, aber das war schon zu oft.«
      Plötzlich begann sie heftig zu zittern. Hagen legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. »Du bist in Sicherheit. Es ist alles vorbei.«
      Sie nickte mehrmals, löste sich von ihm und blieb, ihm den Rücken zugewandt, am Fenster stehen.
      Er zog eine Schublade auf und fand wie durch ein Wunder ein sauberes Hemd. Als er es übergestreift hatte, hatte sie sich auch schon wieder gefangen.
      »Das war ziemlich dumm von mir«, sagte sie. »Da kam wahrscheinlich die schwache weibliche Natur zum Vorschein.«
      Hagen lachte. »Was du brauchst, ist ein ordentlicher Schluck.« Er füllte Gin in zwei einigermaßen saubere Gläser, ging zur Balkontür, stieß sie auf und führte das junge Mädchen hinaus. Sie setzte sich auf den einzigen verfügbaren Stuhl, und Hagen lehnte sich gegen das Balkongeländer. Für kurze Zeit schwiegen sie.
      »Könnte ich vielleicht eine Zigarette haben?« Ihre Stimme klang leise und sanft durch die Dunkelheit.
      Er kramte in der Jackentasche herum und fand schließlich das zerdrückte Päckchen. Als das Streichholz in seiner hohlen Hand aufflammte, sah er ihre schönen, zarten Gesichtszüge, die sich völlig entspannt hatten. Er hielt das Streichholz einen Augenblick länger als nötig, und sie schauten einander flüchtig in die Augen.
      »Ich möchte mich bedanken für das, was Sie für mich getan haben.« Sie sprach langsam und bedächtig, als suche sie nach Worten.
      »Ein Mädchen wie du sollte sich nicht um diese Zeit im Hafenviertel rumtreiben«, erwiderte Hagen in schulmeisterlichem Ton.
      So als hätte sie plötzlich einen Entschluss gefasst, erklang ihre Stimme jetzt selbstbewusst und bestimmt. »Ich heiße Rose Graham.«
      Er hatte also doch Recht gehabt mit dem einen Elternteil. »Mark Hagen. Besser bekannt hier in der Gegend als Kapitän Hagen.«
      »Oh, Sie fahren zur See?«
      »Ich hab ein kleines Schiff«, begann er, doch fiel ihm sofort ein, dass er sich falsch ausgedrückt hatte. Nicht ›habe‹, sondern ›hatte‹. Er hatte ein kleines Schiff. Was hatte er jetzt noch? Ein anderer Gedanke, der jetzt viel wichtiger schien, schoss ihm durch den Kopf. »War ich rechtzeitig da?«, fragte er. »Ich meine, haben diese miesen Kerle dir was angetan?« Er fühlte sich plötzlich nicht wohl in seiner Haut.
      Der Stuhl knarrte, als sie sich erhob. »Sie haben mir nichts angetan, Kapitän Hagen. Sie wollten etwas anderes.«
      Sie ging zum Geländer und stellte sich neben ihn, sodass seine Schulter die ihre bei jeder Bewegung sachte berührte. Der Wind wehte vom Meer herüber, Nebel lag über dem Hafen. Die Lichter der vorbeiziehenden Schiffe schimmerten in der dunklen Nacht. Vom Balkon hatte man einen wunderbaren Ausblick, und plötzlich fühlte Hagen sich gleichzeitig ausgeglichen und unruhig, glücklich und unzufrieden. Es war ein schlimmer Tag gewesen, und die Gedanken an die Vergangenheit waren ihm deshalb besonders nahe. Er redete sich ein, dass nur das Mädchen daran Schuld hatte. Es war schon lange her, dass er jemandem wie ihr so nahe gewesen war. Hagen seufzte und reckte sich.
      Sie lachte fröhlich. »Woran denken Sie? Es muss etwas ziemlich Trauriges sein, wenn Sie so tief seufzen.«
      Er schmunzelte und steckte sich noch eine Zigarette an. »Ich denk über ein versautes Leben nach. In letzter Zeit wird das schon zur Gewohnheit. Ich wird wohl langsam alt.« Wieder lachte sie, »Lächerlich. Sie sind nicht alt. Sie sind noch ein junger Mann.«
      »Ich bin fünfunddreißig«, erwiderte er. »Wenn man so gelebt hat wie ich, dann, glaub mir, ist das alt.« Ihm kam ein Gedanke. Er lächelte in sich hinein und fragte: »Wie alt bist du eigentlich?«
      »Achtzehn«, antwortete sie leise.
      Hagen lachte, »Na bitte. Ich bin doppelt so alt
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