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Das Dorf in den Lüften

Das Dorf in den Lüften

Titel: Das Dorf in den Lüften
Autoren: Jules Verne
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heim, während die von ihm durchmessene Strecke doch über zweitausend Kilometer betrug.
    Vor drei Monaten hatte dieses Gefährt Libreville, die Hauptstadt des französischen Congogebiets, verlassen. Die Richtung nach Osten einhaltend, war es über die Ebenen von Ubanghi hinweg bis über den Lauf des Bahar-el-Abiad, eines der Zuflüsse des im Süden gelegenen Tchadsees, hinausgekommen.
    Die Gegend verdankt ihren Namen einem der bedeutendsten Nebenflüsse am rechten Ufer des Congo oder Zaïre. Sie liegt im Osten von Deutsch-Kamerun, dessen Gouverneur gleichzeitig das Amt eines deutschen Generalkonsuls für Westafrika verwaltet, ihre Grenzen sind aber auch auf den neuesten Landkarten noch nicht mit voller Bestimmtheit eingetragen. Ist das Gebiet auch nicht gerade eine Wüste – höchstens eine solche mit dem üppigsten Pflanzenwuchs. also ohne jede Aehnlichkeit mit der Sahara – so bildet es doch eine ungeheuere Landstrecke, auf der die einzelnen Dörfer stets sehr weit von einander entfernt liegen. Unter den hier siedelnden Volksstämmen herrscht ein unausgesetzter Krieg, sie machen einander zu Sklaven oder tödten sich gegenseitig, ja sie nähren sich sogar vielfach noch von Menschenfleisch, wie z. B. die Mubullus zwischen dem Nil und dem Congobecken. Noch abscheulicher erscheint es, daß gewöhnlich Kinder zur Befriedigung ihrer kannibalischen Gelüste dienen müssen. Die Missionäre sind deshalb eifrig bemüht, die kleinen Wesen zu retten, indem sie diese entweder gewaltsam entführen oder sie von den Siegern zurückkaufen, wonach sie die Kleinen in den längs des Sirambaflusses gelegenen Missionen im christlichen Sinne erziehen. Diese Missionen müßten übrigens alle aus Mangel an Mitteln über kurz oder lang eingehen, wenn sie von den europäischen Staaten, vorzüglich von Frankreich, nicht in hochherziger Weise unterstützt würden.
    Hier sei auch daran erinnert, daß in Ubanghi die Kinder der Eingebornen bei vorkommenden Handelsgeschäften geradezu als Münze betrachtet werden. Man bezahlt mit kleinen Knaben und kleinen Mädchen die Bedarfsgegenstände, die von reisenden Kaufleuten bis ins Herz des Landes gebracht werden. Der reichste Eingeborne ist hier also der, dessen Familie die zahlreichste ist.
    War der Portugiese Urdax nun auch nicht aus Handelsinteresse durch diese weiten Ebenen gezogen und mit den Uferbewohnern in Ubanghi nicht in näheren Verkehr getreten, da er keinen anderen Zweck verfolgte als den, sich durch die gerade hier noch sehr ergiebige Elefantenjagd eine gewisse Menge Elfenbein zu verschaffen, so konnte ihm doch nicht jede Berührung mit den wilden Völkerschaften des Congobeckens erspart bleiben. Wiederholt hatte er die Angriffe feindseliger Horden abweisen und zu Vertheidigungszwecken die Feuerwaffen gebrauchen müssen, die ursprünglich nur zur Jagd auf Pachydermen bestimmt waren. Im ganzen war der Jagdzug jedoch glücklich abgelaufen und hatte unter den Leuten der Karawane kein einziges Opfer gefordert.
    Am Rande eines Dorfes in der Nähe der Quellen des Bahar-el-Abiad war es nun John Cort und Max Huber gelungen, ein Kind dem es erwartenden, schrecklichen Lose zu entreißen, indem sie den Knaben um den Preis einiger Glaswaaren loskauften. Der glücklich Befreite war etwa zehn Jahre alt, von kräftigem Körperbau und von ansprechendem, freundlichem Gesicht, das kaum den Negertypus erkennen ließ. Wie es bei manchen Stämmen vorkommt, hatte der Knabe eine fast ganz helle Haut, blondes Haar statt des krausen Wollkopfes der Neger, mehr eine Adler-als eine aufgeworfene Nase und seine, nicht wie gewöhnlich wulstige, Lippen. Aus seinen Augen leuchtete eine angeborene Intelligenz, und er empfand für seine Retter bald eine Art kindlicher Liebe.
    Das arme, seinem Stamme, nicht seiner Familie entrissene Kind – denn es kannte weder Vater noch Mutter – führte den Namen Llanga. Nachdem es kurze Zeit von Missionären unterrichtet worden war, die ihm auch ein wenig Französisch und Englisch gelehrt hatten, war es durch unglücklichen Zufall feindlichen Denkas in die Hände gefallen, und welches Schicksal seiner hier wartete, kann man ja leicht errathen. Eingenommen von seiner herzlichen Zuneigung und der ungeheuchelten Dankbarkeit, die er ihnen bezeugte, empfanden die beiden Freunde eine immer wachsende Theilnahme für den Knaben; sie ernährten ihn, kleideten ihn und ertheilten ihm Unterricht, der sich bei der guten Veranlagung ihres Schützlings recht erfolgreich gestaltete. Doch wie
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