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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron
Autoren: Giovanni Boccacio
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in kleinerem Maßstab den gleichen Anblick boten wie die Stadt. Auf den zerstreuten Landgütern und Meierhöfen jedoch starben die armen unglücklichen Landleute mit den Ihrigen ohne allen ärztlichen Beistand und ohne Pflege eines Dieners auf Straßen und Feldern wie in ihren Häusern, ohne Unterschied bei Tag und Nacht, nicht wie Menschen, sondern fast wie das Vieh. Darum wurden sie ebenso wie die Städter ausschweifend in ihren Sitten und kümmerten sich nicht mehr um ihren Besitz oder ihre Arbeit. Sie dachten nicht daran, die Früchte ihres früheren Schweißes, ihrer Ländereien und ihres Viehstandes für die Zukunft zu pflegen und zu vermehren, sondern bemühten sich mit allem Scharfsinn einzig und allein darum, die vorhandenen zu verzehren, als erwarteten sie den Tod an demselben Tage, den sie hatten anbrechen sehen. Daher geschah es denn, daß Ochsen, Esel, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner, ja selbst Hunde, die dem Menschen doch am treuesten sind, von den Häusern, denen sie zugehört, verjagt, nach Gefallen auf den Feldern umherliefen, wo das Getreide verlassen stand und weder geerntet noch geschnitten wurde. Manche unter diesen kehrten, ohne von einem Hirten angetrieben zu werden, als ob sie mit Vernunft begabt gewesen wären, am Abend gesättigt zu ihren Häusern zurück, nachdem sie den Tag über Nahrung gesucht hatten.
    Was kann ich Stärkeres sagen, wenn ich mich nun wieder vom Lande zur Stadt zurückwende, als daß die Härte des Himmels und vielleicht auch die der Menschen so groß war, daß man mit Gewißheit glaubt, vom März bis zum nächsten Juli seien, teils von der Gewalt dieser bösartigen Krankheit, teils wegen des Mangels an Hilfe, den manche der Kranken leiden mußten, weil die Gesunden sie aus Furcht vor der Ansteckung in ihrer Not verließen, über hunderttausend Menschen innerhalb der Mauern von Florenz dem Leben entrissen worden, während man vor diesem verheerenden Ereignis der Stadt vielleicht kaum so viele Einwohner zugeschrieben hätte. Ach, wie viele große Paläste, wie viele schöne Häuser und vornehme Wohnungen, die einst voll glänzender Dienerschaft, voll edler Herren und Damen gewesen waren, standen jetzt bis auf den geringsten Stallknecht leer! Wieviel denkwürdige Geschlechter blieben ohne Stammhalter, wie viele umfassende Verlassenschaften und berühmte Reichtümer ohne Erben! Wieviel rüstige Männer, schöne Frauen und blühende Jünglinge, denen, von ändern zu schweigen, selbst Galen, Hippokrates und Äskulap das Zeugnis blühender Gesundheit ausgestellt hätten, aßen noch am Morgen mit ihren Verwandten, Gespielen und Freunden, um am Abend des gleichen Tages in einer ändern Welt mit ihren Vorfahren das Nachtmahl zu halten!
    Es schmerzt mich, so lange bei solch großem Elend zu verweilen. Deshalb will ich nun die Erzählung aller jener Ereignisse auslassen, die ich schicklich übergehen zu können glaube, und sage statt dessen, daß es sich, während unsere Stadt von Bewohnern fast verlassen stand, zutrug (wie ich später von jemand Glaubwürdigem gehört habe), daß sieben junge Damen, die einander sämtlich als Freundinnen, Verwandte oder Nachbarinnen nahestanden, sich an einem Dienstagmorgen in der ehrwürdigen Kirche Santa Maria Novella, die nahezu von niemand besucht war, trafen, nachdem sie in Trauerkleidern, wie sie für eine solche Zeit sich schickten, dem Gottesdienst beigewohnt hatten. Keine von ihnen hatte das achtundzwanzigste Jahr überschritten, keine zählte weniger als achtzehn Lenze. Jede war verständig, jede schön von Gestalt, von reinen Sitten und von anständiger Munterkeit. Ich würde ihre wahren Namen nennen, hielte nicht ein guter Grund mich davon ab. Ich wünsche nämlich nicht, daß eine von ihnen um der Geschichte willen, die sie damals erzählt und angehört und die ich in der Folge mitteilen werde, sich in Zukunft zu schämen habe, was doch geschehen könnte, da heute den Sitten viel engere Grenzen gesetzt sind als damals, wo sie aus den oben erwähnten Gründen nicht nur ihrem, sondern auch viel reiferem Alter zu Belustigungen die größte Freiheit ließen. Ebensowenig möchte ich den Neidischen, die immer bereit sind, löblichen Lebenswandel zu verleumden, Gelegenheit geben, durch üble Nachrede in irgendeiner Hinsicht den guten Ruf dieser ehrenwerten Damen zu schmälern. Um indes ohne Verwirrung unterscheiden zu können, was eine jede von ihnen sprach, gedenke ich ihnen fernerhin Namen beizulegen, die den Eigenschaften einer jeden
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