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Das Dante-Ritual (German Edition)

Das Dante-Ritual (German Edition)

Titel: Das Dante-Ritual (German Edition)
Autoren: André Lütke-Bohmert
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nicht gewundert, geschweige denn beschwert – schließlich war der kleinwüchsige Medizinstudent mein Stellvertreter -, aber mir war sofort klar, dass die Umstände hier und jetzt alles andere als normal waren. Dies hier war eine außerplanmäßige Sitzung, und Philip Kramer, Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses, war es nicht, der sie angesetzt hatte.
    Carsten war fast einen ganzen Kopf kleiner als ich, eher füllig als kräftig und zudem Asthmatiker. Alles an ihm verleitete dazu, ihn zu unterschätzen. Seit er dem AStA als Finanzreferent angehörte, kannte ich ihn gut genug, um diesen Fehler nicht zu begehen.
    „Wärst du bitte so freundlich, mir zu erklären, was das hier werden soll?“
    „Wenn du dir endlich mal ein Handy zulegen würdest, hätten wir dir Bescheid sagen können. Bei dir Zuhause ist niemand ran gegangen.“ Carsten ließ seinen Kugelschreiber auf dem Tisch kreisen. „In deiner Position nicht mobil erreichbar zu sein, ist geradezu lächerlich.“
    „Du kennst meine Haltung zur Handygeneration. Ich sitze meinen Gesprächspartnern lieber gegenüber. Aber das steht bei diesem kleinen konspirativen Treffen hier wohl kaum zur Debatte.“ Carstens Rattenäuglein huschten Hilfe suchend durch den Raum. „Außerdem hast du meine Frage nicht beantwortet. Was ist hier los?“
    „Jetzt setz dich doch erst mal hin.“
    „Einen Scheiß werde ich tun. Spar dir deine Spielchen und komm zur Sache.“
    Aus dem Augenwinkel konnte ich Kerstin Giesecke und Petra Hellwig miteinander tuscheln sehen. Ich sah mich um. Der AStA bestand aus siebzehn Mitgliedern, mich selbst eingerechnet, aber nur zwölf waren anwesend.
    „Anscheinend bin ich nicht der Einzige, den du nicht erreichen konntest“, stellte ich fest.
    „Das siehst du falsch.“ Carsten straffte sich. „Roman, Sven, Malte und Alexandra sind schon wieder gegangen. Wir haben eine Abstimmung durchgeführt, und sie waren in der Minderheit.“
    Also zwölf zu vier, überschlug ich in Gedanken die Verhältnisse. Eine blitzsaubere Mehrheit.
    „Mach dich doch nicht lächerlich, Carsten. Du weißt verdammt genau, dass der AStA keine Entscheidungen ohne Mitwirkung seines Vorsitzenden treffen kann.“
    „Tut mir leid, Philip, aber da täuschst du dich.“ Carstens Stimme hatte sich verändert. Er war sichtlich bemüht, Autorität zur Schau zu stellen.
    „Was soll das heißen?“
    „Dass der AStA sehr wohl in der Lage ist, Entscheidungen ohne seinen Vorsitzenden zu treffen.“ Ein süffisantes Lächeln stahl sich in Carstens Gesicht. „Nämlich dann, wenn der Vorsitzende Gegenstand der Entscheidung ist.“
    „Wieso sollte über mich abgestimmt werden?“
    Ich sah in die Runde. Die Szenerie bot einen lächerlichen Anblick. Man blätterte angestrengt in Unterlagen oder glotzte unbeteiligt aus dem Fenster. Ann-Christine fummelte an ihrem Bauchnabelpiercing herum. Nur Thorsten Hinrichmann, Referent für Öffentlichkeitsarbeit, erwiderte meinen Blick.
    „Toto, wir arbeiten jetzt schon so lange miteinander. Was läuft hier für ein schlechter Film ab?“
    Thorsten wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Carsten, dem seine Rolle als Putschführer sichtlich zu schmecken schien, sich wieder einschaltete.
    „Der AStA hat soeben beschlossen, dem Studierendenparlament deine Abwahl durch Misstrauensvotum anzuraten.“
    „Was?“
    „Du hast mich schon verstanden.“ Carsten lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wir sind uns im Klaren, dass diese Vorgehensweise ungewöhnlich ist, aber durch die tragischen Begleitumstände beim Selbstmord deines Mitbewohners sehen wir uns leider zu diesem Schritt gezwungen. Vielleicht wäre es für alle Seiten das Beste, wenn du der StuPa-Entscheidung durch einen Rücktritt zuvorkommen würdest. Tut mir leid, Philip, aber als Vorsitzender bist du nicht mehr tragbar.“
     
    Meine Intuition, im Botanischen Garten hinter dem Schloss nachzusehen, sollte sich als goldrichtig erweisen. Ich fand die ‚Minderheit‘ im Victoriahaus - einem tropischen Gewächshaus, das seinen Namen der dornigen, hoch aufgewölbten Seerose verdankte, die im zentralen Becken ihre ganze Pracht entfaltete. Ich fingerte ein Taschentuch aus der Hosentasche. Die farbenprächtigen, kurios geformten Orchideen in den Schaufenstern des Victoriahauses waren Gift für meinen Heuschnupfen. Meine Augen tränten.
    Eine Begrüßungsfloskel sparte ich mir. „Woher weiß der AStA von Franks Selbstmord?“
    „Kannst du dir das nicht denken?“, fragte
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