Das böse Spiel der Natalie Hargrove (German Edition)

Furcht und das Gefühl der Erniedrigung in Kraft um und stieß ihn von mir.
    Ich blieb nicht, um zu sehen, wie er zurückstolperte. Ich sprang nackt in den See und ließ das schwarze Wasser meine Tränen fortspülen. Ich vergaß Sarah, ich vergaß meine Kleider. Am liebsten wäre ich den ganzen Weg bis nach Hause geschwommen.
    Als ich in der neunten Klasse an der Palmetto High anfing, hatte ich wesentlich Schlimmeres durchgemacht als diesen einen traumatischen Augenblick auf dem Boot. Mittlerweile hatte ich längere Haare, ein dickeres Fell, die passende Kleidung, die richtige Adresse und einen anderen Spitznamen, um zu beweisen, dass ich die Vergangenheit tatsächlich hinter mir gelassen hatte.
    Aber als ich J. B. zum ersten Mal in den Gängen meiner neuen Schule sah, hatte ich plötzlich das Gefühl, wieder auf dem Boot zu sein, völlig nackt und völlig wertlos.
    Er ging an mir vorbei, blieb dann plötzlich stehen und drehte sich um.
    »Du kommst mir bekannt vor«, sagte er und kniff die Augen zusammen. »Sind wir uns schon mal irgendwo begegnet?«

Epilog
    Früher hast du dir deinen Abschied von der Highschool wie das Ende eines Märchens vorgestellt. Du hast dich zu leicht von den unwichtigen Details blenden lassen. Du bist den Versuchungen der Dunkelheit so schnell erlegen, Kaugummi kauend und in dem falschen Glauben, du seist ganz oben angelangt.
    Man suchte fast eine Woche nach der Leiche von Natalie Hargrove und Dotty Perch betete genauso lange für ihre Seele. Sie verbrauchte eine Packung Taschentücher nach der anderen, gereicht von Darla und Dick links und rechts von ihr auf dem Sofa in der Hacienda am See.
    Dick fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar und kochte ihr den vierten Becher entkoffeinierten Haselnusskaffee. Er konnte nicht ungeschehen machen, was mit Dottys einziger Tochter passiert war. Es war passiert, die Schlacht geschlagen und verloren. Aber endlich hatte Dotty jemanden gefunden, der sich um sie kümmerte, und besaß ein Haus, das sie sich durch jahrelange Begehrlichkeit erarbeitet hatte. Sie würde irgendwann wieder glücklich werden. Das würde jeder an ihrer Stelle.
    Bei Doppel-D lag die Sache anders. Sie erkor Natalies Schließfach in der Schule zu ihrer persönlichen Klagemauer und riss mit ihren Stummelfingern an dem Plakat, das an der roten Tür klebte.
    Darauf stand:
    Kate Richards, von der Kammerzofe zur Prinzessin. Entdeckt Palmettos strahlendsten Stern.
    So leicht wie Kate die Lücke füllte, die Natalie hinterlassen hatte, hätte man erwartet, dass der neue Stern bald am Arm eines gewissen regierenden Königs hinge. Doch keiner der Schüler hatte seit Natalies tragischem Unfall je wieder etwas von Mike King gehört oder gesehen. Vielleicht war das One-way-Ticket nach New York doch noch zu etwas nütze gewesen.
    Officer Parker hingegen machte an der Palmetto eine ganz eigene Entdeckung. Endlich hatte die Polizei es geschafft, Justin Balmers Schließfach zu öffnen. Darin fanden sie einen Footballhelm, Socken und Suspensorien. Und ein kleines Täschchen.
    In dieser Tasche war eine Handvoll Fotos.
    Von Natalie Hargrove.
    Natalie, wie sie beim Benefizball der Neuntklässler Limonade ausschenkte.
    Natalie am Flaggenmast, wie sie den Kopf lachend zurückwarf, sodass die Sonne in ihrem langen dunklen Haar leuchtete.
    Natalie, wie sie in ihrem perlenbesetzten lila Kleid auf dem letzten Winterball tanzte.
    Und noch eines und noch eines. Fotos von Nat aus allen vier Jahren an der Palmetto.
    Es war der Beweis dafür, dass J. B. ein anderer gewesen war, als alle angenommen hatten, und dass die Wahrheit stets hinter seinen smaragdgrünen Augen verborgen geblieben war. Der Beweis, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie scheinen.
    Früher hast du geglaubt, du könntest jede sein, die du sein wolltest. Dass du den richtigen Jungen dazu bringen könntest, dich zu lieben und dich vor deinem Schicksal zu bewahren. Dass du schlauer sein könntest als alle anderen und deine Vergangenheit ein für alle Mal hinter dir lassen könntest.
    Wie hart hast du dafür gekämpft, das zu erreichen.
    Und wie grausam hat dich das Schicksal am Ende betrogen.